Denn wer zuletzt stirbt
den Zähnen ein.
»Ich will wissen, Schreiber, warum du einen neuen Leichenschauschein ausgefüllt hast.«
»Weil es so einfacher ist.«
»Was soll denn an dem neuen Leichenschauschein einfacher sein?«
»›Todesursache nicht aufgeklärt‹ hattest du mir aufgeschwatzt. Und das bedeutet ein langes Protokoll, Rückfragen von der Kripo und weiß ich was sonst noch.«
»Wer hat dir denn das erzählt?«
»Leute, die es offensichtlich besser mit mir meinen als du.«
»Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe. Das einzige, was bei ›Todesursache nicht aufgeklärt‹ passiert, ist, daß du irgendwann einmal eine Kopie des Obduktionsbefundes bekommst, und dann weißt du Bescheid. Und außerdem – alle eventuellen Rückfragen wären sowieso bei mir gelandet, ich hatte den Schein unterschrieben.«
»Paß mal auf, Dr. Hoffmann. Ich habe heute nacht noch drei Leichenschauscheine auf dem NAW geschrieben, gingen wirklich gut weg die Dinger. Einer war ein Mann um fünfzig, den wir fast eine Stunde lang reanimiert hatten, voll in seiner eigenen Scheiße. Dann habe ich eine alte Frau von ihrer Wäscheleine abgeschnitten heute morgen, sie war schon seit Stunden kalt und roch auch nicht mehr ganz frisch. Und als letztes kam eine halbe Stunde vor dem Schichtwechsel ein Säugling von acht Monaten, der tot in seinem Heiabettchen lag. Das Geschrei seiner Eltern hallt mir jetzt noch in den Ohren. Aber wenn du möchtest, Herr Altassistent, werde ich dir in Zukunft morgens alle Leichenschauscheine vorlegen. Oder ich kann dich auch in der Nacht anrufen, wenn es dir lieber ist.«
Er hatte seinen Pilotenkoffer fertig gepackt, zog sein Sommerjacket über und ging wütend hinaus.
»Was war denn das für eine Vorstellung?« fragte Marlies, während sie die letzten Streusel aus der Tüte fischte. Die Tür flog noch einmal auf, Schreiber stand im Türrahmen.
»Übrigens, falls du mich im Zentralkomitee melden willst, nur zu!«
Die Tür flog wieder zu.
»Genau weiß ich auch nicht, worum es eigentlich geht. Schreiber hat gestern nacht mit dem Notarztwagen einen ehemaligen Patienten von mir angeschleift. Als Rundum-Sorglos Paket, aber dead upon arrival. Als der bei mir vor ein paar Monaten auf Station lag, hatte er ein paar Prellungen und Schnittwunden, aber nichts von Bedeutung. Jedenfalls ist uns nichts aufgefallen. Und gestern nacht war er quittegelb und tot. Ich möchte wenigstens wissen, woran er jetzt erkrankt und gestorben ist. Und nun wird er nicht seziert, weil Schreiber eventuell bei seinem Einsatz irgendwas versaut hat.«
Marlies stand auf und legte mir ihre Hände auf die Schultern.
»Wir wären Millionäre, wenn wir nur eine Mark für jeden Patienten bekämen, von dem wir nicht genau wissen, was er eigentlich hat oder warum er uns weggestorben ist. Was ist bloß in dich gefahren, deshalb den kleinen Schreiber so anzumachen?«
Sie hatte recht – warum ließ ich meine Müdigkeit und Frustration an dem jungen Schreiber aus? Wahrscheinlich aus schlechtem Gewissen, weil ich Mischas Behandlung seinerzeit weitgehend meinem Arzt im praktischen Jahr überlassen hatte. Damals schien das in Ordnung, lag Mischa doch lediglich zur Beobachtung bei uns.
»Weißt du, er war einer von den Reinigungsleuten, die wir kaum wahrnehmen und mit denen wir nie sprechen. Vielleicht habe ich mir damals nicht genug Mühe mit ihm gegeben, etwas Wichtiges übersehen.«
»Felix, natürlich verstehe ich dich. Ein Patient, den du als gesund eingestuft hast, ist plötzlich tot! Unser schlimmster Alptraum! Aber ich kenne keinen Arzt, der sich auch nur halb soviel Mühe mit seinen Patienten gibt wie du. Geh nach Hause, und schließ den toten Mischa in dein Abendgebet ein. Mehr kannst du nicht tun. Und laß den kleinen Schreiber in Ruhe. Du willst ihm doch nicht sein USA-Stipendium vermasseln, oder?«
Wollte ich nicht. Sie hatte recht. Ich brauchte einen schönen Metaxa und mein Bett. Morgen wäre auch noch ein Tag, um mir den Kopf über den Tod eines ehemaligen Patienten zu zerbrechen.
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Leseprobe
Christoph Spielberg
Hundertundeine Nacht
Ab Juli 2011 als Kindle eBook erhältlich
1
Als Celine endlich aus Bagdad zurückkam, waren wir hundertundeinen Tag getrennt gewesen. Und hundertundeine Nacht. Nicht, daß wir sonst all diese Nächte zusammen verbracht hätten, dazu waren wir schon zu lange ein Paar. Aber hundertundein Tage bedeuteten vierzehn Samstage, an denen wir
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