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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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eine Frostblume auf einer Fensterscheibe. Die Nase gerade und nicht groß, dennoch fast kühn, mit Flügeln dünn wie Apfelschalen. Die Haut blass, durchscheinend. Vor allem über den Wangenknochen und der Stirn. Rein, straff, wie poliert.
    Das Gesicht von Emma, der man das Blaue vom Himmel versprechen kann, und sie glaubt es.
    Wenn sie ein Mann wäre, würde sie sich in dieses Ge sicht verlieben – und zwar unsterblich. Alle Achtung, würde sie denken, das ist doch mal ein flotter Pechvogel! Wenn die nicht das Unglück magisch anzieht, wer dann?! Teilt es bestimmt ganz selbstlos mit jedem, der ihr zu nahe kommt … Ihr Kopf summte; sie war Alkohol nicht gewöhnt. Eigentlich mochte sie auch gar keinen Sekt.
    Was für eine rauschende Geburtstagsfeier, dachte sie, zeig mir mal eine, die es mit dreißig so weit gebracht hat wie du. Da musst du aber lange suchen. Keine Kinder, kein Mann, kein Auto. Bankkonto überzogen, Wohnung nur gemietet – zwei Zimmer, Küche, Bad, alles in den Dimensionen einer Puppenstube.
    Ach ja, die Wohnung: Der Putz blätterte von den Wän den, ockerbraune Flecken an der Decke kündeten von lang zurück liegenden Rohrbrüchen, am Türrahmen zog man sich Split ter zu, wenn man nicht aufpasste. Die Fensterrahmen saßen so locker, dass Emma morgens die unter der Regenrinne gur renden Tauben hören konnte, als hockten die direkt neben ihr auf dem Kopfkissen. Nach einem kräftigen Regenguss bildeten sich Pfützen von der Größe des Bodensees auf dem Parkett unter dem Fensterbrett. Die Stromspannung schwankte, und wenn sie alle Lampen gleichzeitig einschaltete, sprang die Sicherung raus. » Eine Wohnung für Individualisten«, hatte es in der Anzeige im Immobilienteil geheißen.
    Emma stellte sich eine Ansichtskarte vor, die sie in diesem Moment zeigte: eine Frau allein vor ihrem Schmink tisch, mit einem Schwips. »Hey, Mark«, murmelte sie, »das bin ich an meinem Dreißigsten! Weißt du noch? Emma? Danke für alles!« Wer sich in dieses Gesicht nicht verliebte, mit dem stimmte was nicht. Sie hatte doch so viel zu geben! Jede Menge Missgeschicke, Pleiten und Pannen. Ich bin’s doch, Emma. Der Unglücksrabe. Die Pechmarie.
    Ihr Leben war wie ein Blick in ein Kaleidoskop: Bei jeder Drehung erschien ein neues Bild, aber mochte es noch so bunt funkeln und schimmern, zusammengesetzt war es immer nur aus Scherben.
    Es war ja nicht allein der Regenschirm, der mitten im heftigsten Wolkenbruch plötzlich zusammenklappte. Oder der Absatz, der zwischen zwei Pflastersteinen stecken blieb und abbrach. Es war auch nicht bloß der Wagen, der partout nicht anspringen wollte, wenn sie es besonders eilig hatte. Nicht die U-Bahn, die sie unter Garantie verpasste, weil sie den Absatz suchen musste, während der Schirm davonflatterte wie eine aufgescheuchte Krähe. Nicht einmal die verschüttete Rum-Cola, auf der sie beim Tanzen ausrutschte, die sowieso nicht.
    Tanzen? Wann war sie das letzte Mal tanzen gewesen und mit wem?
    Es war auch die Farbtube, die ihr herunterfiel, wenn sie in der Kirchenkuppel von Sankt Michael den letzten Streifen Himmelblau hinter dem Goldhaar der Putte vertiefte. Natürlich war es genau das Blau, das sie brauchte, um den richtigen Ton der Mischung hinzukriegen. Sie konnte die Tube fallen sehen, von ihrem Platz oben auf dem Gerüst bis ganz nach unten auf den Granitboden. Nein, halt, es war ja ihre Farbe: Natürlich landete sie auf der Schulter ihres Auftraggebers, Monsignore Wenzel vom Erzbischöflichen Ordinariat, der gerade in diesem Moment zu ihr heraufschaute.
    Ach, und das waren ja nur die kleinen Missgeschicke. Da gab es die Knochenbrüche, die sie sich immer wieder zugezogen hatte, in der Schule, beim Turnen, während des Studiums. Es war der frühe Tod ihrer Mutter, die ihr immer noch fehlte. Es war ihr Vater, der um die Existenz seines Antiquitätengeschäfts kämpfte, seit sie ihn mit ihrer Tollpatschigkeit beinahe in den Ruin getrieben hätte.
    Und es war Mark, der behauptet hatte, sie zu lieben. Der behauptet hatte, nicht ohne sie leben zu können. Der sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, anzurufen, und sei es auch nur, um abzusagen.
    Emmas Handy klingelte, ein gedämpftes Surren im Bauch ihrer Handtasche, die auf dem Bett lag. Sie kippte den Inhalt der Tasche auf die Decke, denn das Handy war ganz nach unten gerutscht, und meldete sich.

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