Der Alchimist von Krumau
steilen Gang hinauf, dem Halbkreis aus Morgenlicht entgegen, der in weiter Ferne über ihr glänzte. Ihre Hände scharrten über den Steinboden, doch es war nur ein krampfhaftes Zucken auf der Stelle.
Julius, mein geliebter Herr …
Ihr Kopf war zurück auf den Boden gesunken, hinter sich hörte sie schmatzende Laute, wie wenn dort jemand einen Teig oder Brei in den Händen wälzte. Den Kristallballon, in dem die Silberkrone kochte, sah sie auf einmal wieder vor sich, den scharlachroten Krönungsmantel, den die blauen Flammen des Athanor verzehrten, das Steinkind, wie’s auf dem Alchimistentisch hockte, die leere Königslarve vor der schwarzen Satansfratz. Wie ein wundersamer Traum erschien ihr dies alles, und die Sinne wollten ihr schon vollends schwinden, als stampfende Schritte vom Burghof her ertönten und ein Dutzend kaiserlicher Gardistenstiefel in die Unterwelt hinabgetrampelt kam.
Mühevoll hob sie abermals den Kopf, sah an der baumlangen Gestalt empor und erblickte endlich das hölzerne Antlitz von Oberst Hoyos, schwindelnd hoch über ihr.
»Erhebt Euch, Don Julius, ich muss Euch fortbringen.« Seine Stimme knarzte ärger denn je.
»Herr Oberst«, murmelte Markéta, »bitt sehr, ich …« Schatten tanzten, Sterne wirbelten vor ihren Augen. Mit äußerster Anstrengung drehte sie noch einmal den Kopf über ihre Schulter, aus der Blutfontänen sprangen, grellrot wie im Fiebertraum. »Bitt sehr, ich verreck!«
Für einen winzigen Moment traf sie der Blick unter borkegrauen Augenbrauen, die wie geschnitzt aussahen. »Holt den Brodner«, befahl Hoyos, »der schleicht sowieso immer hinter der Senorita her.«
»Um Gottes … schnell … ich verblut!«
Einer der Gardisten rannte los, zum Gewölbetor zurück, schon von weitem nach Franz Brodner schreiend. Währenddessen stiegen die anderen Soldaten über Markéta hinweg und umringten Julius, der sich fügsam erhoben hatte, Hände, Stirn und Brust mit Blut verschmiert.
Wieder sank Markétas Kopf auf den Boden zurück. Verschwommen sah sie Mutter Bianca vor sich, ein Lichtfaden im Nebelmeer, umhüllt von einem Leib so durchscheinend wie Glas.
»Markéta?«
»Wer … wer?«
»Ich bin’s, der Brodner Franz.« Die eifrige Stimme zitterte vor Besorgnis. »Ich versteh nichts davon, Markéta, dein Vater war Heiler: Was um Himmels willen soll ich tun?«
»Abbinden … überm … Loch«, flüsterte sie.
»Abführen – in den Turm!«, knarzte der Oberst.
»Bitte nicht, Maître!«, rief auf einmal Julius, mit überkippender Stimme wie ein verängstigtes Kind.
Ein Fetzen wurde um Markétas Schulter gewunden. Wieder stiegen Stiefelpaare über sie hinweg, dazwischen zwei nackte, verzweifelt sich sträubende Füße, scharlachrot betupft.
»Ab in den Kerker, Exzellenz – die väterliche Majestät befiehlt’s.«
EPILOG
Donnerstag, den 3. August 1609 A.D. im »Goldenen Fass« zu Krumau
Gestern begingen wir Melchiors ersten Geburtstag, wieder ohne ein Zeichen von Euch oder gar von der großväterlichen Majestät. Da hab ich beschlossen, Euch heut zu schreiben, nicht um für mich oder den Kleinen was zu fordern, keine Bange, Katharina. Ich wüsste bloß nicht, an wen sonst ich diese Zeilen richten könnte: Es sind ja alle tot, Madame.
Bald jede Nacht träumt mir von Soldaten, Feuersbrünsten, ich hab Angst, Katharina, dass der Krieg mir auch noch Melchior nehmen wird. Der Franzos, hörte ich unlängst wieder in der Schänke schwätzen, marschier auf Wien und Prag. Und des Kaisers eigner Bruder zieht brandschatzend durch die Lande, um Rudolfs Zepter endlich doch noch an sich zu reißen? Ah, da ekelt’s mich, Madame, seht einer Badersmaid die Torheit nach.
Sowieso wollt ich von andern Dingen schreiben, vor allem von Euerm Enkelsohn. Vielleicht bezweifelt Ihr, dass Julius der Vater ist. Dann schaut bei Gelegenheit mal nach, wie das Kinn des Kleinen wächst: schier wie ein Schwert, das auf seine eigne Brust zielt, Madame. Das »Goldene Fass« dürfte Euch ja noch erinnerlich sein, seht einfach hinterm Schanktisch nach: Da kriecht der Enkelbastard des Kaisers von früh bis spät in den Bierpfützen umher.
Der Brodner Franz liebt mich innig, Katharina, das ist auch des Knäbleins Glück, sonst wären wir beide wohl nicht mehr am Leben. Die Leut in der Stadt sehn mich scheel an, sie vergessen nicht, was damals war. Die linke Schulter hat Julius’ Hieb mir zerhauen, der Arm ist lahm geblieben: ein Teufelsmal. Sie trauen mir nicht mehr über den Weg, und
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