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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.j. Rose
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eigentlich viel zu viel um die Ohren, um auch nur ein einziges Stündchen zu erübrigen.
    Acht Minuten später saß sie in Malachais Büro und lauschte dem Ticken der antiken Pendeluhr, die auf dem marmornen Kaminsims stand. Es war, als ticke die Uhr immer langsamer, als wenn das Uhrwerk jeden Moment anhalten und dann rückwärts laufen wollte. Unmöglich, klar, doch wusste Meer mittlerweile, dass die Zeit in diesem Raum nicht immer in derselben Richtung verlief wie in der übrigen Welt.
    “Das ist für Sie”, sagte der Parapsychologe und Reinkarnationsforscher, während er einen arg ramponierten, überfrankierten Umschlag auf den Tisch legte.
    Meer erkannte die Handschrift ihres Vaters. “Ach, spielen Sie jetzt den Postillon? Hat mein Vater Ihnen mitgeteilt, wieso er mir den durch Sie zukommen lässt?”
    “Damit Sie nicht allein sind, wenn Sie ihn aufmachen.”
    “Als wäre ich ein kleines Kind.” Sie lächelte resigniert.
    “Egal, wie alt Sie sind – er wird immer Ihr Vater sein.” Malachai sprach ein gepflegtes britisches Englisch, wodurch jeder Satz wie eine offizielle Verlautbarung klang. Er war ein sehr kultivierter Mann. Vor hundert Jahren wäre er ohne Weiteres als Aristokrat durchgegangen.
    “Haben Sie eine Ahnung, um was es geht?”
    “Er hat mich nicht aufgeklärt.”
    Sie riss die Lasche auf und zog den Inhalt aus dem Kuvert.
    Eine Kinderzeichnung auf grobem, vergilbtem Papier, von einem kleinen Mädchen mit goldenen, orangefarbenen, roten und braunen Buntstiften angefertigt. Die Striche waren zwar verwackelt und trafen an den Ecken nicht ganz zusammen, aber man konnte erkennen, dass das Bild eine Schatulle darstellte. Nicht irgendeine x-beliebige, sondern jenes imaginäre Kästchen, das Meer schon als Kind auf geradezu krankhafte Weise fasziniert hatte. Warum, das wusste sie nicht. Wollten ihre Eltern wissen, wo sie es denn gesehen hatte, sagte sie immer nur: “Damals.”
    Daraufhin fragten sie, was ihr denn noch von “damals” im Gedächtnis geblieben sei, und sie erzählte es ihnen. Es war wie ein sehr schlimmer Traum, nur eben mit dem Unterschied, dass es immer derselbe war und sie dabei gar nicht schlief. Während eines heftigen Gewitters wurde sie in einem Wald von einem Mann verfolgt, der ihr die Schachtel abjagen wollte. Dazu tönte im Hintergrund mysteriöse Musik, so wie im Kino. Kehrte sie dann wieder zurück ins “Jetzt”, wie sie es nannte, dann weinte sie manchmal.
    Die bunten Einzelheiten auf dem Blatt, das ihr Vater ihr da hatte zukommen lassen, waren zwar bloße Kritzeleien, doch illustrierten sie deutlich, was Meer so klar in ihrer Erinnerung gesehen hatte: dunkles, poliertes Holz mit kunstvollen Silberbeschlägen und einer großen, silbernen Rosette mit eingravierten Vögeln, Blättern, Hörnern, Flöten, Harfen sowie allerlei Schnörkeln. Einmal hatte sie ihrem Vater gegenüber behauptet, die Musik, die sie in ihrem bösen Tagtraum höre, die stamme aus der Schatulle. Nur konnte sie diese nie lange genug offen halten, um der Melodie bis zum Ende zu lauschen.
    Was ihr Vater und Malachai glaubten, dass nämlich das Gewitter, die Musik und die Verfolgung Erinnerungen an ein früheres Leben seien – davon wollte Meer nichts wissen. Sie hatte jahrelang versucht, diese Anwandlungen, die sie als Heimsuchung ansah, zu verstehen. Diese Suche hatte ihr letztendlich zu einem Magister in Kognitiver Verhaltenstherapie verholfen, Spezialgebiet Erinnerungsforschung – und zu einer einigermaßen plausiblen Erklärung. Nach ihrer Überzeugung litt sie an Pseudoerinnerungen: Entweder hatte ihr Unterbewusstsein während ihrer Kindheit tatsächliche Ereignisse verzerrt, oder sie selber brachte Träume und Wirklichkeit durcheinander.
    “Das ist bloß eine von meinen alten Zeichnungen”, bemerkte sie erleichtert und reichte das Blatt Malachai zurück.
    Mit aufmerksamem Blick musterte er das Bild einige Augenblicke. Dann entfernte er eine am oberen rechten Rand befestigte Büroklammer und begutachtete einen zweiten, angehefteten Bogen. Die Kaminuhr tickte dazu im Sekundentakt, wie sie es schon seit über hundertfünfzig Jahren tat. “Das hier haben Sie wohl übersehen”, sagte er schließlich und hielt ihr das Blatt hin.
    Es war eine aus einem Auktionskatalog herausgerissene Seite. Unter einer Textpassage prangte das Foto einer dunklen Holzschachtel mit aufwendigen Silberbeschlägen und einer großen Silberrosette mit eingravierten Vögeln, Blättern, Hörnern, Flöten, Harfen,

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