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Der Chancellor

Titel: Der Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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bin. Das Entsetzen hält mich wie angenagelt zurück. Ich möchte mich zwischen Mr. Letourneur und seine Henker stürzen, ich kann es nicht!
    Da hat sich Mr. Letourneur erhoben und die Matrosen, welche ihm schon einen Theil seiner Kleidung von den Schultern gerissen haben, zurückgestoßen.
    »Nur einen Augenblick, sagt er mit einer Stimme voll unerschütterter Energie, einen Augenblick! Ich habe nicht die Absicht, Jemandem die ihm zukommende Ration zu entziehen! Doch ich denke, Ihr würdet mich heute doch nicht ganz und gar aufzehren können!«
    Die Matrosen halten ein und sehen und hören erstaunt auf ihn.
    Mr. Letourneur fährt fort:
    »Ihr seid Zehn. Sollten Euch meine Arme nicht für heute genug sein? Schneidet sie ab und morgen erhaltet Ihr das Uebrige!«
    Letourneur streckt seine beiden nackten Arme vor.
    »Einverstanden!« ruft mit schrecklicher Stimme der Zimmermann Daoulas.
    Und schnell wie Blitz erhebt er die Axt ...
    Robert Kurtis hat es nicht mehr mit ansehen können.
    Ich auch nicht! So lange wir leben, darf dieser Mord nicht ausgeführt werden. Der Kapitän stürzt sich unter die entmenschten Henker, ihnen ihr Opfer zu entreißen, ich werfe mich in den Tumult ... Aber kaum komme ich hinzu, so werde ich von einem der Matrosen mit aller Gewalt zurückgestoßen und falle in's Meer ...
    Ich schließe den Mund. Ich will an Erstickung sterben, aber die Athemnoth überwindet meinen Willen; meine Lippen öffnen sich, und einige Schlucke Wasser dringen in meine Kehle! ...
    O Du ewiger Gott! Das Wasser ist süß!

LVI.
    Fortsetzung vom 27. Januar.
    – Ich habe getrunken! Ich habe getrunken! Ich bin neu geboren! Das Leben zieht wieder in mich ein! Ich will nicht mehr sterben!
    Ich schreie und werde gehört. Kurtis erscheint über der Schanzkleidung und wirft mir ein Tau zu, das meine Hand erfaßt. Ich klettere an Bord und breche auf der Plateform zusammen.
    »Süßwasser! Trinkwasser!« sind meine ersten Worte.
    – Süßwasser! ruft Robert Kurtis, meine Freunde, das rettende Land ist da!«
    Noch ist es Zeit! Der Mord ist noch nicht vollbracht! Das Opfer noch nicht geschlachtet! Robert Kurtis und André hatten gegen die Kannibalen gekämpft, und gerade als sie dem Unterliegen nahe waren, sind meine Rufe zu ihnen gedrungen.
    Der Kampf schweigt. Ich rufe nochmals die Worte: »Süßwasser! Trinkwasser!« neige mich über den Rand des Flosses und trinke, ja, ich trinke mit langen, wohlthätigen Zügen!
    Miß Herbey folgt zunächst meinem Beispiele. Robert Kurtis, Falsten, alle Uebrigen stürzen sich nun auf die neuerschlossene Lebensquelle; Jeder kühlt sein brennendes Verlangen. Die wilden Thiere der letzten Minuten strecken die Arme gen Himmel, und einige Matrosen bekreuzen sich, da sie ein Wunder vor sich zu haben glauben. Alle knieen am Bordrande nieder und trinken mit wahrhaft wollüstigem Entzücken. Der Ausbruch der Freude folgt dem der Wuth!
    André und sein Vater sind die Letzten, die dem allgemeinen Beispiele folgen.
    »Doch wo, wo sind wir? habe ich laut gefragt.
    – Da!« antwortet Robert Kurtis und weist mit der Hand nach Westen.
    Man sieht ihn verwundert an. Ist jetzt der Kapitän auch toll geworden? Es ist keine Küste in Sicht, und das Floß nimmt noch immer den Mittelpunkt der Wasserscheibe ein.
    Und doch, das Wasser ist ja süß. Seit wann? –Einerlei; jetzt haben die Sinne uns nicht betrogen und unser Durst ist gelöscht.
    »Ja wohl, fährt der Kapitän fort, noch ist das Land unsichtbar, doch wir haben es weniger als zwanzig Meilen unter dem Winde.
    – Welches Land? fragt der Hochbootsmann.
    – Das amerikanische Festland, und zwar denjenigen Theil, an welchem der Amazonenstrom mündet, denn dieser Strom allein wälzt seine Fluthen mit solcher Gewalt in's Meer, daß er im Stande ist, bis auf zwanzig Meilen dessen Salzwasser zu verdrängen!»

LVII.
    Fortsetzung vom 27. Januar.
    – Robert Kurtis hatte vollkommen recht, denn die Mündung des Amazonenstromes, welcher so viel Wasser in's Meer führt, ist die einzige Stelle des Atlantischen Oceans, an der wir Süßwasser antreffen konnten. Das Land ist da. Wir fühlen es voraus! Der Wind trägt uns dorthin.
    In diesem Augenblicke erhebt sich Miß Herbey's Stimme gen Himmel, und wir verbinden unsere Gebete mit dem ihrigen!
    André Letourneur liegt in den Armen seines Vaters, und wir Anderen Alle, auf dem Vorder- und dem Hintertheile des Flosses, starren nach dem Horizonte im Westen ...
    Eine Stunde später ruft Robert Kurtis laut: »Land!

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