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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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Die Menschen sind Hunde, in ihrem Elend reiben sie sich aneinander, wälzen sich im Schmutz, ohne wieder herauskommen zu können, sie lecken sich den ganzen Tag das Fell und ihr Geschlechtsteil, fläzen sich im Staub, zu allem bereit für einen Brocken Fleisch oder einen vergammelten Knochen, den man ihnen vielleicht hinwirft, und ich bin, ganz wie sie, ein menschliches Wesen, also ein verdorbenes Miststück, Sklave meiner Instinkte, ein Hund, ein Hund, der beißt, wenn er sich fürchtet, und der gestreichelt werden will. Ich weiß Bescheid über meine Kindheit, mein Welpenleben in Tanger; mein Herumstreunen als junger Köter, mein Ächzen als geprügelter Hund; ich verstehe meine Erregung bei den Weibchen, die ich für Liebe hielt, und ich verstehe vor allem die Herrenlosigkeit, denn daran liegt es, dass wir alle verloren und ziellos im Dunkeln tappen auf der Suche nach einem Herrn und uns dabei gegenseitig beschnuppern. In Tanger legte ich zweimal am Tag fünf Kilometer zu Fuß zurück, um das Meer zu sehen, den Hafen und die Meerenge, heute laufe ich noch immer viel, ich lese auch, und immer mehr, das ist eine angenehme Art, der Langeweile und dem Tod zu entgehen, ja durch Zerstreuung selbst dem Denken etwas vorzugaukeln, indem man es von der Wahrheit ablenkt, der einzigen, die so aussieht: Wir sind Tiere in Gefangenschaft, die nur für ihre Befriedigung und in der Dunkelheit leben. Ich bin nie mehr nach Tanger zurückgekehrt, obwohl ich Leute getroffen habe, die davon träumten, als Touristen dorthin zu gehen, eine schöne Villa mit Blick aufs Meer zu mieten, Tee im Café Hafa zu trinken, Haschisch zu rauchen und Einheimische zu vögeln, männliche Einheimische meist, aber nicht ausschließlich, es gibt welche, da können Sie sicher sein, die darauf hoffen, es mit Prinzessinnen aus Tausendundeiner Nacht zu treiben, wie viele haben mich gefragt, ob ich nicht einen kleinen Erholungsaufenthalt in Tanger für sie arrangieren könnte, mit Haschisch und einheimischen Mädchen, und hätten sie gewusst, dass der einzige Hintern, den ich vor meinem achtzehnten Lebensjahr zu Gesicht bekommen habe, der meiner Cousine Meryem war, hätten sie sich auf dem Boden gekrümmt oder hätten mir einfach nicht geglaubt, so sehr verbinden sie Tanger mit Sinnlichkeit, Begehren und einer Freizügigkeit, die die Stadt für uns nie gehabt hat, die man aber Touristen gegen klingende Münze bietet, die in der Geldkatze des Elends verschwindet. In unser Viertel hat sich keiner von den Touristen verlaufen. Das Haus, in dem ich heranwuchs, war weder reich noch arm, ebenso wenig wie meine Familie, mein alter Herr war ein frommer Mensch, das, was man einen rechtschaffenen Mann nennt, ein Ehrenmann, der seine Frau und seine Kinder nicht schlecht behandelte – abgesehen von ein paar Fußtritten hin und wieder auf den Allerwertesten, was noch nie jemandem geschadet hat. Ein Mann, der ein einziges Buch besaß, aber ein gutes: den Koran. Mehr brauchte er nicht, um zu wissen, was er in diesem Leben tun sollte und was ihn im Jenseits erwartete, fünfmal am Tag beten, fasten, Almosen geben, sein einziger Traum war eine Pilgerreise nach Mekka, damit man ihn mit Haddsch anredete, Haddsch Mohsen, das war sein einziger Ehrgeiz, es interessierte ihn nicht, seinen Lebensmittelladen durch harte Arbeit in einen Supermarkt zu verwandeln, es interessierte ihn nicht, Millionen von Dirham zu verdienen, er hatte das BUCH das Gebet die Pilgerfahrt und Punkt; meine Mutter verehrte ihn und verband quasi den Gehorsam einer Tochter mit der Dienstbarkeit einer Hausangestellten: So bin ich dann aufgewachsen, mit den Suren, der Moral, den Geschichten über den Propheten und das glorreiche Zeitalter der Araber, ich habe eine ganz und gar mittelmäßige Schule besucht, wo ich ein wenig Französisch und Spanisch lernte, und mit meinem Kumpel Bassam ging ich jeden Tag zum Hafen hinunter, in den unteren Teil der Medina und zum Grand Socco nach den Touristinnen schielen, und sobald uns das erste Haar an den Eiern spross, wurde das Begaffen von Ausländerinnen zu meiner Hauptbeschäftigung mit Bassam, besonders im Sommer, wenn sie Shorts und kurze Röcke trugen. Im Sommer gab es jedenfalls nichts groß zu tun, außer den Mädchen hinterherzulaufen, an den Strand zu gehen und Joints zu rauchen, wenn uns jemand ein Piece zum Kiffen gab. Ich las dutzendweise alte französische Krimis, die ich für ein paar Münzen aus der Ramschkiste eines Trödlers kaufte, Krimis, weil darin häufig

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