Der Chefarzt
blieb sitzen und betrachtete sie. Sogar ihre Wehrlosigkeit ließ ihn unberührt. Für ihn war sie so fremd, daß er selbst für einen Abschied keine Worte fand.
»Lassen Sie mich allein«, befahl er.
Und Leopoldine, die noch nicht erfaßt hatte, daß er sie zum Leiden verurteilte, sah kummervoll zu ihm auf, als hätte nicht er, sondern ein anderer, den sie nicht kannte, diese Entscheidung gefällt. Sie zog ihre schmalen Augenbrauen hoch, die so wenig zu ihrem runden Gesicht paßten, als ob sie jetzt mit Erstaunen begriffe, was geschehen war, und ging mit gesenktem Kopf zur Türe.
Was konnte sie ihm entgegensetzen außer ihr Aufbegehren und ihre, weil er sie nicht brauchte, für ihn wertlosen Gefühle. Langsam und noch unbewußt sehnte sie sich nach der beruhigenden Gewißheit, all das sei nur etwas Oberflächliches, das bald vorübergehen würde. Daß es eine Täuschung war, der sie sich wie in einem Traum für einige Zeit noch hingeben konnte.
Dann ging sie in ihr Zimmer im Erdgeschoß des Schwesternheimes, um eine schlaflose Nacht zu verbringen. Nun hatte sie jemand, der sie schlecht behandelte, und den sie gut behandeln konnte.
Rückkehr
1
Bertram versuchte, die Geschäftigkeit der beginnenden Adventszeit zu ignorieren, die beherrscht wurde von Geschenkebesorgungen, von Pelzen und Parfum und vom Schnee, der auf den Straßen gleich matschig wurde.
In der Klinik drängten viele Patienten auf ihre Entlassung, andere wiederum ließen sich aufnehmen. Es waren immer die gleichen alten einsamen Menschen, die die Feiertage zu Hause fürchteten.
Bertrams zerstritten sich und versuchten sich wieder zu vertragen. Inzwischen hatten sie es sich angewöhnt, nur keine weiteren Fragen zu stellen, nett zueinander zu sein, bis morgen zu warten. Morgen würde es anders werden. Am nächsten Tag war es das gleiche. Malvina starrte von ihrem Platz aus durch die Fensterscheibe in die Dunkelheit, er dachte gequält: ›Warum ist alles so gekommen? Doch nicht, weil ich ihr wegen Karen unrecht getan habe. Jedes andere Mißverständnis hätte ebenfalls diese Reaktion ausgelöst. Ihre Empörung kann über die eigentliche Ursache nicht hinwegtäuschen. Wir haben plötzlich entdeckt, daß wir unglücklich sind.‹
Wenn sie nicht gerade stritten, verliefen ihre Abende eintönig. Schweigen. Starren ins Leere.
Hatten sie nicht alles erreicht, was man sich nur wünschen konnte? Es stimmte zwar, doch das Leben hatte ihnen nichts gegeben, ohne dafür etwas zu fordern.
Malvina sagt: »Findest du nicht, daß du zuviel trinkst?«
»Das tue ich immer, wenn ich nachdenken möchte.«
Er wälzt sich schlaflos im Bett, steht auf, geht in die Bibliothek und schenkt sich einen Cognac ein. Nach langem Suchen nimmt er aus seinem Bücherregal die Bibel, blättert umständlich in ihr, dann findet er, wonach er sucht. Der erste Johannesbrief: »Wenn wir behaupten, wir hätten keine Sünde, dann täuschen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.«
Der Bauunternehmer, der das Kerckhoffsche Haus vor ihnen besaß, hatte eine Reihe geschmackloser Umbauten vorgenommen. Um sie zu beseitigen, gaben Bertrams Unsummen aus. Das einzige, was sie beließen, war eine mit technischen Raffinessen und protzigem Luxus ausgestattete Schwimmhalle, die mit dem Haus durch einen beheizten Gang verbunden war.
Bertram war zwar ein Frühaufsteher, dennoch gehörte er nicht zu den Menschen, die gleich nach dem Aufstehen an körperliche Ertüchtigung dachten. Er schwamm nicht. Noch im Stehen trank er die erste Tasse Kaffee und nutzte die frühe Morgenstunde, um zu arbeiten. Nur in seltenen Fällen bestellte er zu dieser Zeit jemand zu sich.
An diesem Morgen, um sechs Uhr dreißig, erschien der Kriminalbeamte Peppinhege. Umständlich entschuldigte er sich, daß er Bertrams Zeit in Anspruch nähme, und kam, ohne Übergang, auf das Wesentliche. »Ich möchte Ihnen eine Frage stellen: War die Gräfin Kerckhoff reich?«
»Gewiß doch. Warum fragen Sie?«
»Wir haben kein Testament gefunden.«
»Sprechen Sie darüber mit ihrem Rechtsanwalt.«
»Sie hatte keinen.«
»Sie muß doch einen Vermögensverwalter haben oder eine Bank.«
Daraufhin zuckte Herr Peppinhege bedauernd die Schultern.
»Was ist mit der Versicherungsgesellschaft?« fragte Bertram.
»Ihr Schmuck war nicht versichert. Wir fragten auch Ihre Frau danach.«
»Meine Frau?«
»Sie kannte die Gräfin, es wäre denkbar, daß sie darüber Bescheid wußte.«
»Sie kannten sich kaum. Ich war früher mit
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