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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. F. Dam
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nicht weiter, dass dieser Umstand meinen Großvater zum ungewollten Freund der Faschisten und Militaristen gemacht hat, ihn, den die Engländer kurz zuvor einen verdammten Bolschewiken genannt haben. Denn in den dreißiger Jahren flieht Shivmangal Rai vor den Engländern nach Nazi-Deutschland. Schließlich kommt er nach Wien. Und bei einem Aufenthalt in Bad Gastein heiratet und schwängert er meine Wiener Großmutter Cäcilie.
    Immer noch stehe ich auf dem Parkplatz. M&M sind bereits abgefahren. Ich lasse meinen Motor an und fahre hinaus auf die Döblinger Hauptstraße. Ich sehe das Straßenschild, und die Wörter erscheinen mir fremd. Dö Bling , Meister sämtlicher schwarzer Künste Nordtibets.
    Schwerer Regen setzt ein, als die Okklusion anfängt, sich über Wien zu schieben. Ich krieche durch den Wald im Westen der Stadt. Es wird dunkel und nach wenigen Minuten könnte man meinen, sich unter Wasser zu befinden. Der Portwein rollt auf dem Beifahrersitz im Kurvenrhythmus hin und her.
    Â 
    Zu Hause schreibe ich einen kurzen, etwas emotionalen Brief an Sir Robert Chelseworth, Maggies Vater. Bestimmt wird Maggie nach St. Neots bei Cambridge überführt und in der Familiengruft neben ihrer Mutter bestattet werden.
    Ich schalte Macfreedom ein, bis zum Morgen werde ich vom Internet getrennt sein. Lange stehe ich am Fenster, ein Glas Portwein in der Hand. Draußen die Dunkelheit, hier drinnen die Finsternis des Lebens. Bald ist es, als klafften um mich bloß gefräßige, schwarze Löcher. Gleich werde ich in eines von ihnen gesogen werden und fallen, fallen, bis ich zerdrückt werde von Schwerkraft, Traurigkeit und dem bloßen Mangel an Zuversicht. Und ich stelle mir unangenehme Fragen. Zum Beispiel, ob Maggie noch am Leben wäre, wenn ich die Angst in ihrer Stimme gehört und auf sie reagiert hätte, oder auch, und es ist beachtenswert, welche Fragen der Tod aufzuwerfen imstande ist, ob ich eigentlich der Mensch bin, der ich sein will (was voraussetzt, dass ich von Letzterem eine gewisse Vorstellung habe). Ich bin mitschuldig an Maggies Tod – Unterlassung, miserable männliche Intuition, insgesamt unverzeihliche Verbrechen.
    Â 
    Gegen Mitternacht schiebe ich Bruckners Neunte in den Schlitz meiner Soundanlage. Einen Teil meiner Kindheit habe ich vor einem Stutzflügel zugebracht. Doch nach Mozart und Brahms kamen der Grunge Rock und Nirvana und mit ihnen eine Fender Stratocaster special edition. Heute ist Bruckner zu meinem Gott geworden (Nirvana sind sein wilder Messdiener). Und die Neunte – ihr Gesäusel, das Getrappel, die Kaskaden, der massive, herabstürzende Block der Gnade – ist die kosmische Messe meiner Religion.
    Bruckner jedenfalls ist es, der mich über die nächsten Stunden rettet.
    Â 
    Als ich zu Bett gehe, ist die Portweinflasche leer und die Nacht bald vorüber. Keine zwei Stunden habe ich geschlafen, als ich aus dem Schlaf schrecke: ein Geräusch. Ich horche in die Dunkelheit. Wut sitzt in meiner Kehle, sie ist wie abgeschnürt. Eben habe ich geträumt, wie ich Maggies mutmaßlichem Mörder gegenüberstehe; meine Ferse war in seine Magengrube versenkt und meine Spucke klebte als weiße Spinne in seinem Gesicht. Ich wälze mich aus dem Bett, schlurfe am Badezimmer vorbei hinüber in den Wohnraum. Ich lasse mich in das kühle Leder des Sofas fallen und stelle das Fernsehgerät an, worauf das Licht aus einem Kabelkanal in das Zimmer fällt. Da sind Unstimmigkeiten: Das Maul einer kaum jemals benutzten Schreibtischlade steht halb offen; durch die Unterlagen zu dem Artikel, an dem ich seit Wochen arbeite ( Microclimates of Minor Alpine Glaciers ), ist ein kleiner Wind gefahren. Ich trete hinaus in den Vorraum, mache Licht. Da sind braungraue Spuren. Ich prüfe mit dem Finger: Die Spur ist noch nass, und sie kommt von keinem meiner Schuhe. Hellwach laufe ich zurück in den Wohnraum. In diesem Augenblick schnappt das Schloss der Eingangstür. Jetzt renne ich aus dem Zimmer und reiße die Wohnungstür auf. Leere, Fahrstuhlgeräusche; dann höre ich den Fahrstuhl drei Stockwerke unter mir ankommen. Wut schießt wieder hoch in meine Kehle. Ich stürme zurück in die Wohnung und auf den Balkon: Eine in der Finsternis kaum erkennbare Gestalt verlässt bedächtig das Haus und verschwindet unter den Ahornkronen der Straße.
    Â 
    Das wahrhaft Bizarre aber ist die Nachricht,

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