Tod auf der Themse
Prolog
Das schwere Unwetter, das die
Südküste Englands verwüstet hatte, war jetzt über die
nördlichen Meere zu den eisigen Ländern gezogen, wo
fellbekleidete Männer namenlosen Göttern Opferfeuer entzündeten.
Von London bis Cornwall ließen sich die Chronisten der Klöster
in allen Einzelheiten darüber aus, wieso das Unwetter eine
Gottesstrafe gegen ein sündhaftes Königreich gewesen war. Und
tatsächlich hatte der Zorn Gottes in den letzten paar Monaten sich unübersehbar
ausgetobt. Eine mächtige französische Flotte unter dem
Piratenkapitän Eustace, dem Mönch, hatte die Städte entlang
der Südküste überfallen und ausgeplündert. Die
Einwohner von Rye in Sussex hatten in ihrer Kirche Zuflucht gesucht. Dort
hatten sie die französischen Korsaren einfach eingesperrt und das
Gotteshaus bis auf die Grundmauern niedergebrannt; ohne auf die Schreie
der Eingeschlossenen zu achten, hatten sie gestohlene Karren mit Silber,
Teppichen und Lebensmitteln aus den geplünderten Häusern
beladen.
Die französische Flotte
hatte sich zurückgezogen. London mit seinen Bastionen hatte nun Ruhe,
während der graue Herbst in einen eisigen Winter überging.
Schiffe lagen auf der Themse vor Anker und zerrten an ihren Trossen. Die
Matrosen hatten Urlaub und vergnügten sich in der Stadt; nur
Rumpfmannschaften waren an Bord geblieben und riefen die Stunden aus. Auf
einem Schiff aber, auf der großen Kogge God’s Bright Light,
war alles still. Die Laterne hoch oben am Mast flackerte und blinkte im
kalten, grauen Licht der Morgendämmerung. Das Schiff bewegte sich
knarrend und schwang an seiner Ankertrosse in der schwarzen, träge
fließenden Themse sanft hin und her. Die Kräne auf St. Paul’s
Wharf standen regungslos da, und die Türen der Lagerschuppen waren
verrammelt und verschlossen. Nur hin und wieder schlich eine Katze auf der
Jagd nach fettbäuchigen Mäusen und geschmeidigen Ratten über
die Rollen ölgetränkter Taue, die Holzstapel und die dicken,
eisenberingten Salzfässer, die hier standen.
Für die Mäuse und
Ratten war es eine Nacht des Überflusses gewesen; sie waren von den Müllhaufen
heruntergekommen und unter den Türen der Lagerschuppen hindurchgeschlüpft,
um dort an Kornsäcken und an großen, saftigen, in Leintücher
gewickelten Schinken zu knabbern. Natürlich mußten sie erst
einen Spießrutenlauf zwischen all den Katzen hinter sich bringen,
die ebenfalls hier jagten. Eine Ratte, wagemutiger als die anderen,
huschte auf dem Kai entlang, schlidderte die schimmelfeuchten Stufen
hinunter und schwamm auf die Ankertrosse der Kogge zu; ihr öliger
Leib dümpelte auf den Wellen des Flusses. Die Ratte war eine eifrige
Jägerin, so gewandt und verschlagen, daß sie drei Sommer überlebt
hatte und schon grau um die Schnauze geworden war. Vorsichtig benutzte sie
die kleinen Krallen wie auch den Schwanz, um am Tau hinaufzukriechen, und
dann glitt sie durch die Klüse auf das Deck. Dort verharrte sie,
reckte den spitzen Kopf in die Luft und schnupperte. Irgend etwas stimmte
hier nicht - mit ihrer empfindlichen Nase witterte sie Schweißgeruch,
vermischt mit Parfümduft. Die Ratte war angespannt, und die Muskeln
des schmalen, schwarzen Körpers wölbten sich über den
Schultern. Die kohlschwarzen Knopfaugen spähten durch den Nebel, der
gespenstisch über das Deck wehte; die Ohren lauschten aufmerksam in
die Stille und warteten auf das leise Wischen eines Katzenschwanzes oder
das rauhe Knarren von Holz, wo ein anderer Räuber über die
Planken pirschte. Aber sie bemerkte nichts Ungewöhnliches, und so
schlich sie weiter. Dann erstarrte sie jäh, denn jetzt waren Geräusche
zu hören - der dumpfe Stoß eines Bootes, das längsseits
kam, gefolgt vom Klang menschlicher Stimmen. Die Ratte witterte Gefahr;
sie machte kehrt, lief zur Klüse zurück und wieselte die
Ankertrosse hinunter. Lautlos glitt sie ins Wasser und schwamm zurück
zum Ufer, wo die Zähne eines räudigen Katers sie erwarteten.
Es war ein kleines
Marketenderboot, das die Ratte verschreckt hatte, und die Stimmen gehörten
einem Matrosen und seiner Begleiterin, einer jungen Dirne vom Fischmarkt
bei der Vintry. Der Seemann versuchte, die Hure dazu zu überreden,
die Jakobsleiter mit ihm hinaufzuklettern. Ihr blondes Haar war schon vom
Flußnebel durchfeuchtet, und die grelle Schminke verlief auf ihrem
Gesicht. Er
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