Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
Bezahlung.
»Wenn Lous Enkel so ein Herumtreiber ist, hat sie sich das selber zuzuschreiben.« Mary ließ nicht locker. »Man muss eben beizeiten zusehen, dass man zu etwas kommt. Für mich sorgt auch niemand, aber ich habe wenigstens ein paar Münzen beiseitegelegt …«
Sie sah ihre Tochter grimmig an und schwieg, weil sie wusste, wie ungerecht ihre Worte waren. Penelopes Lohn half, die Miete zu bezahlen und Brot auf den Tisch zu bringen. Sie hatten bislang nie hungern müssen – anders als viele andere im Viertel. Ein wenig schämte Mary sich ihrer Verbitterung.
Mary war die einzige unverheiratete Frau in der Gasse. Sie kam aus Schottland, aus einem Kaff, von dem niemand je gehört hatte – und sie hatte ein Kind mitgebracht, über dessen Vater sie nie sprach. Nur große Trauer oder ein düsteres Geheimnis konnten hinter ihrem Schweigen stecken, darin waren sich die Leute einig. Und so tratschte man zwar ein wenig, aber man wagte es nicht, sich über Mary lustig zu machen. Man brauchte sie und, ja, hatte wohl auch ein wenig Angst vor ihr. Mary kannte sich mit Wunden und Krankheiten aus, und sie stand wie keine andere Hebamme den Frauen im Kindbett bei. Manche sagten ihr nach, sie habe ihre Kunst beim Teufel gelernt, denn eine Tasche mit Gerätschaften, wie sie nur ein Arzt verwendete, befand sich in ihrem Besitz, und für solche Dinge müsse man schon seine Seele verkauft haben. Die Wahrheit darüber hätte nur jener Doktor im St. Mary’s Hospital in Manchester gewusst, dessen Lieblingsschülerin sie einst gewesen war.
Mary hatte äußerst geschickte Hände und nahm wenigerGeld als die Doktoren. Trotzdem riefen die Schwangeren aus den feineren Vierteln lieber wohl ausgebildete Geburtshelfer an ihr Lager. Mary MacFadden gehörte zu jenen Frauen, deren Name in aller Heimlichkeit weitergereicht wurde.
Sie seufzte und riss sich aus den Gedanken. »Ich habe eine neue Arbeit für dich«, sagte sie zu ihrer Tochter. Mit beiden Händen rührte sie in dem Wäschebottich herum, sie war eine der wenigen Frauen, die die Leibwäsche regelmäßig auf dem Herd kochten, weil sie der Ansicht waren, dass dies Krankheiten fernhielt. Der Hausbesitzer war anderer Ansicht, daher hatte Mary sich wieder über die zusätzlichen Eimer Wasser mit ihm streiten müssen. Doch nun dampfte der Bottich und erfüllte die Küche mit ungewohnter Wärme.
»Eine gute Arbeit«, sprach sie weiter. »Vielleicht bekommst du dort mehr zu essen. Du hast nichts auf den Rippen, und der nächste Winter wird hart. Ich weiß nicht, ob ich genug Kohlen für uns beide heranschaffen kann. Die Geschäfte gehen nicht gut … vielleicht kannst du sogar dort wohnen, wenn man zufrieden mit dir ist.«
Penelopes Herz begann heftig zu schlagen. Die Mutter hatte sie jemandem als Dienstmädchen versprochen! Sie würde ihr Bündel packen müssen, so, wie es Heather aus der Nachbarschaft ergangen war, die letzten Winter von ihrem Vater nach Birmingham geschickt worden war, weil das Essen in der siebenköpfigen Familie zu knapp geworden war. Und von ihr hatte man nie wieder etwas gehört.
»Mutter, bitte … schick mich nicht weg«, murmelte sie mit einem flehenden Blick und kämpfte mit den Tränen.
In dem Moment drehte Mary sich um. Du siehst deinem Vater so verflucht ähnlich, dachte sie. Deine Augen,deine Stimme. Deine Bewegungen. Ich vermisse ihn, und wenn ich dich ansehe, schmerzt es nur umso mehr … Sie hatte ihrer Tochter nie von dem Mann erzählt, der für ein paar zauberhafte Monate ihr Geliebter gewesen war, in jenem kleinen Haus vor den Toren Manchesters. Dort hatten sie beisammen gelegen und Pläne geschmiedet, hatten mit Lust ein Kind gezeugt und an eine Zukunft geglaubt. Tagsüber hatten sie im Hospital nebeneinander gearbeitet, er als ihr Lehrer und sie als seine beste Schülerin. Am Tag, als sie ihm von ihrer Schwangerschaft hatte erzählen wollen, hatten sie ihn verhaftet, weil er Dokumente gefälscht hatte. Auf Fälschen stand die Todesstrafe, und die Büttel hatten ihn vom Operationstisch weggeholt und nach London gebracht. Ein paar Briefe aus der Gefangenschaft waren alles, was ihr von ihm geblieben war. Irgendwann waren keine Briefe mehr gekommen. Mary hatte nie wieder von ihm gehört. Es hatte sie ihre ganze Kraft und ihren Einfallsreichtum gekostet, trotz der heimlichen Schwangerschaft zu arbeiten und Geld zu verdienen. Nach der Geburt hatte sie es nicht übers Herz gebracht, das Kind wegzugeben, wie viele Frauen es taten. Es erinnerte sie
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