Der dunkle Highlander
wird er es bestimmt nicht. Die Texte sind in Latein und Gälisch verfasst.« Sie stemmte die Fäuste in die Seiten und funkelte ihren Boss, den Kurator der mittelalterlichen Sammlung im The Cloisters und im Metropolitan, böse an. »Wozu braucht er denn das Buch? Hat er das gesagt?«
»Ich habe ihn nicht danach gefragt«, erwiderte Tom mit einem Achselzucken.
»Nicht danach gefragt. Na großartig.« Chloe schüttelte fassungslos den Kopf. Die Abschrift, auf die sie zart ihre Finger legte, war zwar nicht illustriert und nur fünfhundert Jahre alt, also fast tausend Jahre jünger als die Originaltexte im Nationalmuseum von Irland, aber sie war dennoch ein kostbares Stück Geschichte und verlangte äußerste Behutsamkeit und Respekt.
So etwas schleppte man nicht einfach so durch die Stadt, um es einem Wildfremden anzuvertrauen.
»Wie viel hat er gespendet?«, fragte sie ärgerlich. Sie wusste, dass bestimmt Bestechungsgeschenke im Spiel waren. Normalerweise gab das The Cloisters die Stücke seiner Sammlung nicht heraus.
»Einen mit kostbaren Juwelen besetzten skean dhu aus dem fünfzehnten Jahrhundert und ein unschätzbar wertvolles Damaszener Schwert.« Tom strahlte vor Glück. »Das Schwert stammt aus der Zeit der Kreuzzüge. Beides wurde sorgsam untersucht - die Stücke sind authentisch.«
Chloe zog eine Augenbraue hoch. Ihr Unmut machte dem Staunen Platz. »Menschenskind. Wirklich?« Ein skean dhu! Ihre Finger krümmten sich begehrlich. »Haben Sie die beiden Stücke schon hier?«
Antiquitäten. Chloe liebte jede einzelne, angefangen bei dem Rosenkranz, in dessen Perlen Bilder vom Leidensweg Christi geschnitzt waren, über die Einhorn- Tapisserien bis hin zu den mittelalterlichen Waffen.
Und ganz besonders liebte sie alles Schottische; weil es sie an ihren Großvater erinnerte, bei dem sie aufgewachsen war. Nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, war Evan MacGregor unverzüglich angereist und hatte der verstörten Vierjährigen in Kansas ein neues Heim geschaffen. Er war stolz auf seine Herkunft und impfte der kleinen Chloe mit seinem leidenschaftlichen schottischen Temperament die Liebe für alles Keltische ein. Es wäre ihr Traum, eines Tages nach Glengarry zu fahren um sich die Stadt anzusehen, in der ihr Großvater auf die Welt gekommen war; die Kirche zu besuchen, in der er geheiratet hatte; und bei silbrigem Mondschein durchs Heidemoor zu streifen. Einen Reisepass hatte sie bereits, erwartete nur auf den hübschen Stempel; aber vorher musste sie noch etwas Geld zusammensparen.
Vielleicht brauchte sie noch ein oder zwei Jahre, denn ihr jetziges Leben in New York war viel kostspieliger als das in Kansas; aber eines Tages würde sie nach Schottland fahren. Sie konnte es kaum erwarten. Als Kind hatte die leise gutturale Stimme, mit der ihr Großvater fantastische Geschichten aus seiner Heimat erzählt hatte, sie oft in den Schlaf gelullt. Als er vor fünf Jahren starb, war Chloe am Boden zerstört. Manchmal, wenn sie abends allein im The Cloisters war, unterhielt sie sich laut mit ihm. Bestimmt wäre ihm das Leben in der Großstadt verhasst gewesen - es war ihr im Übrigen selbst verhasst -, aber ihre Berufswahl hätte er sicher gutgeheißen: das Bewahren und Erhalten von alten Kunstgegenständen und Traditionen.
Sie kniff die Augen zusammen. Toms Gelächter riss sie aus ihren Träumereien. Es amüsierte ihn, wie schnell sie von Zorn zu Bewunderung wechseln konnte. Chloe nahm sich zusammen und setzte eine finstere Miene auf. Ein Fremder sollte die kostbaren Schriften berühren. Unbeaufsichtigt. Wer konnte dann wissen, was er mit dem Band anstellte?
»Ja, ich habe die beiden Stücke schon. Und ich habe Sie nicht nach Ihrer Meinung zu meiner Vorgehensweise gefragt. Ihre Aufgabe ist es, die Dokumentation ...«
»Tom, ich habe einen Master in Geschichte des Altertums und spreche so viele Sprachen wie Sie. Sie haben immer behauptet, dass meine Meinung Ihnen wichtig ist. Stimmt das nun, oder stimmt es nicht?«
»Natürlich ist Ihre Meinung mir wichtig«, beschwichtigte Tom sie. Er war schnell wieder ernst geworden und nahm seine Brille ab, um sie mit der Krawatte, welche die üblichen Kaffeeflecken und Do- nut-Krümel zierten, zu putzen. »Aber wenn ich mich nicht auf den Handel eingelassen hätte, dann hätte er die Waffen dem Royal Museum of Scotland gestiftet. Chloe, Sie wissen selbst, wie hart die Konkurrenz ist, wenn es um Stücke von solcher Qualität geht. Und Sie kennen
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