Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
ist.«
»Schon gut. Ich hatte einmal einen Freund, bei dem war es genau so.«
»Cuthbert?«
Roland nickte. Er betrachtete lange Zeit die beiden verbliebenen Finger seiner rechten Hand, dann ballte er sie unter Schmerzen zur Faust, seufzte und sah wieder zu seinen beiden Gefährten auf. Irgendwo tiefer im Wald sang lieblich eine Lerche.
»Ich glaube folgendes: Wenn ich nicht in Jack Mort eingedrungen wäre, hätte er Jake an diesem Tag trotzdem nicht gestoßen. Da nicht. Warum nicht? Ka-tet. Ganz einfach. Zum erstenmal, seit der letzte der Freunde starb, mit denen ich zu dieser Reise aufgebrochen bin, war ich wieder einmal im Zentrum von Ka-tet«.
»Quartet?« fragte Eddie zweifelnd.
Der Revolvermann schüttelte den Kopf. »Ka – das Wort, das in eurer Sprache ›Schicksal‹ bedeutet, Eddie, obwohl die eigentliche Bedeutung weitaus komplexer und schwerer zu definieren ist, wie das häufig bei Wörtern der Hochsprache der Fall ist. Und tet bedeutet eine Gruppe Menschen mit denselben Interessen und Zielen. Wir drei sind zum Beispiel ein tet. Und Ka-tet ist ein Ort, wo viele Leben vom Schicksal verknüpft sind.«
»Wie in Die Brücke von San Luis Key«, murmelte Susannah.
»Was ist das?« fragte Roland.
»Eine Geschichte über ein paar Menschen, die gemeinsam sterben, als die Brücke einstürzt, die sie überqueren. Sie ist in unserer Welt berühmt.«
Roland nickte; er hatte verstanden. »In diesem Fall hat Ka-tet Jake, Walter, Jack Mort und mich verbunden. Es war keine Falle, wie ich zunächst vermutet habe, als ich erfuhr, wen sich Jack Mort als nächstes Opfer auserkoren hatte, denn Ka-tet kann man nicht verändern oder dem Willen eines Menschen beugen. Aber Ka-tet kann man sehen, wissen und verstehen. Walter sah, und Walter wußte.« Der Revolvermann schlug sich mit der Faust auf den Schenkel und rief verbittert: »Wie muß er innerlich gelacht haben, als ich ihn endlich eingeholt hatte!«
»Kommen wir wieder darauf zurück, was passiert wäre, wenn du Jack Morts Pläne an dem Tag, als er Jake gefolgt ist, nicht vereitelt hättest«, sagte Eddie. »Du behauptest, wenn du Mort nicht aufgehalten hättest, hätte es etwas oder jemand anders getan. Ist das richtig?«
»Ja – weil es nicht der richtige Tag zum Sterben für Jake war. Es war nahe am richtigen Tag, aber nicht der richtige Tag. Das habe ich auch gespürt. Vielleicht hätte Mort kurz vor der Tat gesehen, daß ihn jemand beobachtete. Oder ein völlig Fremder hätte eingegriffen. Oder…«
»Oder ein Bulle«, sagte Susannah. »Er hätte einen Bullen an der falschen Stelle und zur falschen Zeit sehen können.«
»Ja. Der genaue Grund – der Agent von Ka-tet – ist nebensächlich. Ich weiß aus erster Hand, daß Mort argwöhnisch wie ein alter Fuchs war. Hätte er nur den geringsten Verdacht gehabt, daß etwas nicht in Ordnung war, hätte er es abgeblasen und auf eine neue Gelegenheit gewartet.
Aber ich weiß noch etwas. Er hat in Verkleidungen gejagt. An dem Tag, als er Odetta Holmes den Backstein auf den Kopf fallen ließ, trug er eine Strickmütze und einen alten Pullover, der ihm ein paar Nummern zu groß war. Er wollte wie ein Wermutbruder aussehen, weil er den Stein von einem Gebäude fallen ließ, in dem eine große Zahl Penner ihr Quartier aufgeschlagen hatte. Verstanden?«
Sie nickten.
»An dem Tag, als er dich Jahre später vor den Zug gestoßen hat, Susannah, war er wie ein Bauarbeiter gekleidet. Er trug einen großen gelben Hut, den er als ›Bauhelm‹ bezeichnete, und einen falschen Schnurrbart. An dem Tag, an dem er Jake tatsächlich vor das Auto gestoßen hätte, wäre er wie ein Priester gekleidet gewesen.«
»Herrgott«, flüsterte Susannah beinahe. »Der Mann, der ihn in New York gestoßen hat, war Jack Mort, und der Mann, den er im Rasthaus gesehen hat, war der Bursche, den du verfolgt hast – Walter.«
»Ja.«
»Und der kleine Junge hat gedacht, es wäre ein und derselbe Mann, weil sie beide schwarze Kleidung getragen haben?«
Roland nickte. »Es bestand sogar eine Ähnlichkeit zwischen Walter und Jack Mort. Nicht, als wären sie Brüder gewesen, das meine ich nicht; aber beide waren große Männer mit dunklem Haar und sehr blassen Gesichtern.
Und wenn man die Tatsache bedenkt, daß Jake im Sterben lag, als er Jack Mort sah, und an einem fremden Ort und vor Angst fast von Sinnen war, als er Walter gesehen hat, glaube ich, sein Irrtum war verständlich und verzeihlich. Wenn jemand in dieser Sache Tadel verdient, dann
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