Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
Individuum. Ja der Staat verfährt überall ungläubig gegen die Individuen, weil er in ihrem Egoismus seinen natürlichen Feind erkennt: er verlangt durchweg einen »Ausweis«, und wer sich nicht ausweisen kann, der verfällt seiner nachspürenden Inquisition. Der Staat glaubt und vertraut dem Einzelnen nicht, und stellt sich so selbst mit ihm auf den Lügen-Komment : er traut Mir nur, wenn er sich von der Wahrheit meiner Aussage überführt hat, wozu ihm oft kein anderes Mittel bleibt als der Eid. Wie deutlich beweist auch dieser, daß der Staat nicht auf unsere Wahrheitsliebe und Glaubwürdigkeit rechnet, sondern auf unser Interesse , unseren Eigennutz: er verläßt sich darauf, daß Wir Uns nicht durch einen Meineid werden mit Gott überwerfen wollen.
Nun denke man sich einen französischen Revolutionär im Jahre 1788, der unter Freunden das bekanntgewordene Wort fallen ließe: die Welt hat nicht eher Ruhe, als bis der letzte König am Darm des letzten Pfaffen hängt. Damals hatte der König noch alle Macht, und als die Äußerung durch einen Zufall verraten wird, ohne daß man jedoch Zeugen aufstellen kann, fordert man vom Angeklagten das Geständnis. Soll er gestehen oder nicht? Leugnet er, so lügt er und – bleibt straflos; gesteht er, so ist er aufrichtig und – wird geköpft. Geht ihm die Wahrheit über Alles, wohlan so sterbe er. Nur ein elender Dichter könnte es versuchen, aus seinem Lebensende eine Tragödie herzustellen; denn welches Interesse hat es, zu sehen, wie ein Mensch aus Feigheit erliegt? Hätte er aber den Mut, kein Sklave der Wahrheit und Aufrichtigkeit zu sein, so würde er etwa so fragen: Wozu brauchen die Richter zu wissen, was Ich unter Freunden gesprochen habe? Wenn Ich wollte , daß sie's wüßten, so würde Ich's ihnen gesagt haben, wie Ich's meinen Freunden sagte. Ich will nicht, daß sie's wissen. Sie drängen sich in mein Vertrauen, ohne daß Ich sie dazu berufen und zu meinen Vertrauten gemacht habe; sie wollen erfahren, was Ich verheimlichen will . So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch euren Willen brechen wollt, und versucht eure Künste. Ihr könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle und ewigem Verdammnis drohen, könnt Mich so mürbe machen, daß Ich einen falschen Schwur leiste, aber die Wahrheit sollt Ihr nicht aus Mir herauspressen, denn Ich will Euch belügen, weil Ich Euch keinen Anspruch und kein Recht auf meine Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, »welcher die Wahrheit ist«, noch so drohend auf Mich herabsehen, mag das Lügen Mir noch so sauer werden, Ich habe dennoch den Mut der Lüge, und selbst wenn ich meines Lebens überdrüssig wäre, selbst wenn Mir nichts willkommener erschiene, als euer Henkerschwert, so sollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch eure Pfaffenkünste zum Verräter an seinem Willen macht. Als Ich jene hochverräterischen Worte sprach, da wollte Ich, daß Ihr nichts davon wissen solltet; denselben Willen behalte Ich jetzt bei und lasse Mich durch den Fluch der Lüge nicht schrecken.
Sigismund ist nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er sein Fürstenwort brach, sondern er brach das Wort, weil er ein Wicht war; er hätte sein Wort halten können, und wäre doch ein Wicht, ein Pfaffenknecht gewesen. Luther wurde, von einer höhern Macht getrieben, seinem Mönchsgelübde untreu: er wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als Besessene: Sigismund, weil er als ein aufrichtiger Bekenner der göttlichen Wahrheit , d. h. des wahren Glaubens, des echt katholischen erscheinen wollte; Luther, um aufrichtig und mit ganzer Wahrheit, mit Leib und Seele, Zeugnis für das Evangelium abzulegen; beide wurden meineidig, um gegen die »höhere Wahrheit« aufrichtig zu sein. Nur entbanden jenen die Pfaffen, dieser entband sich selbst. Was beachteten beide anders, als was in jenen apostolischen Worten enthalten ist: »Du hast nicht Menschen, sondern Gott belogen?« Sie logen den Menschen, brachen vor den Augen der Welt ihren Eid, um Gott nicht zu lügen, sondern zu dienen. So zeigen sie Uns einen Weg, wie man's mit der Wahrheit vor den Menschen halten soll. Zu Gottes Ehre und um Gottes willen ein – Eidbruch, eine Lüge, ein gebrochenes Fürstenwort!
Wie wäre es nun, wenn Wir die Sache ein wenig änderten und schrieben: Ein Meineid und Lüge um – Meinetwillen ! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das Wort reden? Es scheint allerdings
Weitere Kostenlose Bücher