Merry Christmas, Holly Wood
1. Kapitel
„ Hey, nun passen Sie doch auf!“, rief Holly einer jungen, drängelnden Frau zu, die es anscheinend sehr eilig hatte, genau wie der Rest der Meute am Flughafen.
Es war Sonntag, der 22. Dezember, und Holly war soeben auf dem Denver International Airport gelandet. Knapp eintausend achthundert Meilen hatte sie zurückgelegt, nur um wieder an den Ort zu gelangen, von dem sie drei Jahre zuvor geflohen war.
Gleich nach dem College hatte sie das Angebot einer großen New Yorker Modezeitschrift für ein Volontariat angenommen und sich auf den Weg in die Ferne gemacht, in die Stadt der Fashion und Haute Couture. Nicht einen Gedanken hatte sie seitdem an Fort Collins, Colorado verschwendet, außer natürlich wenn sie an ihre lieben Eltern dachte. Die waren es auch, die kein weiteres Nein duldeten, die nicht noch ein Weihnachten ohne sie verbringen wollten.
Also hatte sie sich überreden lassen und einen Last-Minute-Flug gebucht. Anscheinend war nicht nur sie allein auf der Heimreise, was man unübersehbar an den vielen Menschen am Airport erkennen konnte.
Sobald sie den schweren Koffer vom Gepäckband gewuchtet hatte, machte sie sich auf zum Autoverleih. Auch das noch! Es war kein Leihwagen mehr verfügbar außer einem VW Golf, und auch noch einem kackbraunen.
„ Ein VW Golf, ehrlich jetzt?“, fragte sie die Frau am Schalter, die trotz des Trubels noch versuchte, freundlich und aufmerksam zu sein.
„Es ist alles, was ich Ihnen noch anbieten kann, tut mir leid.“
„ Dann werde ich es woanders versuchen“, sagte Holly, bedankte sich und rollte ihren Koffer zum nächsten Schalter.
Drei Schalter und keinen Wagen später stand sie wieder vor der ersten Frau und sagte ihr kleinlaut, dass sie nun doch den VW Golf nehmen würde.
Bitte, bitte, bitte, lass den jetzt nicht schon vergeben sein, denn sonst muss ich noch mit der Pferdekutsche in das Kaff zurück , dachte sie, hatte aber Glück, der VW war noch verfügbar und ein klein wenig freute sie sich sogar darüber.
Wann bin ich nur so snobistisch geworden? , fragte Holly sich selbst, schüttelte den Gedanken aber gleich wieder ab.
In den letzten drei Jahren hatte sie sich von der Volontärin zur Assistentin, dann zur kleinen Reporterin bis hin zur gefragten Kolumnistin hochgearbeitet. Sie lebte für ihren Beruf, ein Privatleben besaß sie gar nicht mehr. Für so viel Einsatz durfte sie sich doch wenigstens ein paar schöne Dinge gönnen, oder? Ab und zu mal ein wenig Kaviar, eine neue Gucci-Tasche oder Jimmy Choos. Was war denn schon dabei? Und was sollte sie sonst mit dem vielen Geld anfangen, das sie auf einmal verdiente?
Sie schrieb nicht nur die Kolumne für die „New Fashion“ und Mode-Berichte für eine große Zeitung, sondern trat gelegentlich auch im Fernsehen auf, wenn irgendwo eine Fashion-Expertin gefragt war. Sie wohnte in einer schicken Wohnung in der Upper East Side und hatte alles, wovon sie ihr ganzes Leben lang geträumt hatte. Beinahe alles.
Ach herrje, jetzt habe ich doch glatt vergessen, ein Geschenk für Dad zu besorgen , fiel ihr ein. Für ihre Mutter hatte sie einen hübschen Kaschmir-Schal gekauft und ihre Schwester Ruby bekam goldene Ohrringe. Für ihren Dad hatte sie einfach kein passendes Geschenk gefunden, und dann hatte sie es total vergessen.
E s sind ja noch drei Tage bis Weihnachten. Mir wird schon noch etwas einfallen. Vielleicht weiß Mom Rat.
Vor dem Flughafengebäude saßen zwei Obdachlose, denen sie im Vorbeigehen einen Fünfdollarschein in den Becher warf. Es war kalt in Colorado und sie fröstelte.
Den dunkelbraunen Wagen erreicht, schloss sie die Tür auf. Nachdem sie den großen Trolley im Kofferraum verstaut hatte, sah sie sich die Landkarte an, die im Handschuhfach lag. Bei ihrem Abflug vor drei Jahren hatte ihr Dad sie gebracht; ihre Mom war zu Hause geblieben, weil sie ihrer eigenen Meinung nach zu nah am Wasser gebaut war, um diesen großen Abschied öffentlich zu verkraften.
Holly war diese Strecke seit drei Jahren nicht gefahren. Es konnte aber nicht allzu schwer sein, den Weg nach Hause zu finden, immerhin lag Fort Collins nur 70 Meilen weit entfernt und es ging immer nur die Interstate 25 hoch Richtung Norden. Irgendwann würde sie schon ankommen.
Sie machte sich auf den Weg. Einige kleine Schneeflöckchen rieselten vom Himmel. Im Autoradio lief „Driving Home For Christmas“ von Chris Rea, der Lieblings-Weihnachtssong ihres Dads. Wie
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