Der elektrische Kuss - Roman
Manteuffel noch mit einem ihrer berühmten funkelnden Blicke und schritt dann zum nächsten Gast weiter. Charlotte blieb stehen und drehte den Stil ihres roten böhmischen Glases zwischen den Fingern. Sie war ihm nicht einmal vorgestellt worden. Dass ihre Nase für ein hübsches Gesicht zu lang und auch ihr Kinn eine Spur zu spitz war, wusste sie selbst. Deshalb hoffte sie, dass ihm wenigstens ihr Dekolleté gefiel, wartete aber nicht ab, bis er sich bequemte, das Wort an sie zu richten.
»Meinten Sie die Elektrizität?«
»Wie bitte?«
»Meinten Sie mit dem, was in unserer Zeit schneller als die Zeit ist, das neue Element, die Elektrizität?«
Statt endlich zu antworten, glotzte er sie aber nur an. Charlotte bemerkte, dass er Hechtaugen hatte, und ließ ihren Blick absichtlich nach unten zu seinen Beinen wandern. Vermutlich wusste er, dass sie sein größter Makel waren. Charlotte hatte recht. Er räusperte sich, genügend zurechtgestutzt.
»Elektrizität, ja, ja stimmt. Sie ist schnell.«
Mein Gott, hatte dieser sächsische Graf einen Dachschaden? Charlotte spürte, wie sie immer ungeduldiger und gereizter wurde. Wenn schon einer in dieser verdammten Einöde vorbeikam und etwas über Elektrizität wusste, vielleicht sogar mehr wusste als sie selbst, dann sollte er gefälligst reden. Und nicht jedes Wort langsam im Mund zerkauen. Sie konnte ihre Neugier kaum noch zügeln.
»Sind Sie selbst Elektriker, ich meine, experimentieren Sie?«
Charlotte legte bei dieser Frage alle schamlose und verheißungsvolle Verführungskraft in ihre Stimme, die sie über die Jahre von ihrer Mutter gelernt hatte und jetzt mit fünfundzwanzig passabel beherrschte. Sie musste ihn an die Angel bekommen. In ihren Augenwinkeln sah sie allerdings zu ihrem Schrecken, dass Felix sich näherte. Der liebe, traurige Felix, noch dazu wieder so hübsch mit seinen buschigen schwarzen Augenbrauen und drahtigen, wohlgeformten Waden. Bevor der sächsische Graf schwerfällig zu einer Antwort ansetzte, zupfte Charlotte ihn am Brokatärmel und zog ihn mit sich ein paar Meter weiter in eine kleine ungestörte Nische des Saals, wo ein marmorner Faun mit entblößtem Unterleib stand und aus seinem weit geöffneten Mund einen Strahl Wein in ein Becken plätschern ließ. Manteuffel sträubte sich nicht. Charlotte bemerkte, dass sich an den Rändern seiner Perücke Schweißtropfen sammelten. Ihre rechte Hand blieb auf seinem Ärmel liegen. Ziemlich nahe mit den Lippen an seinem blassen Gesicht, raunte sie:
»Vergessen Sie die Frage. Sie war dumm und überflüssig. Ein Mann von Welt wie Sie ist selbstverständlich Elektriker! Das habe ich vom ersten Augenblick an gespürt. Überhaupt, hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass sie so etwas unergründlich Rasantes, geradezu Gefährliches in den Augen haben?«
Charlotte riss ihre grauen Augen, die im Kerzenschimmer, so hoffte sie immer, dunkler wirkten, als sie waren, so weit auf, dass es schmerzte. Ihre, wie sie fand, kaum zu überbietende Albernheit wurde belohnt. Der Graf räusperte sich, Röte überflutete sein Fischgesicht.
»Ja gewiss, Sie haben recht, es ist gefährlich, sehr gefährlich. Ich meine … wie war doch Ihr Name?«
»Charlotte von Geispitzheim.«
»Es ist mir eine Ehre.«
Jetzt, da sie beinahe schon an ihm klebte, verbeugte er sich ungelenk. Seine Perücke berührte ihre Nasenspitze, der rieselnde Puder brachte sie zum Niesen. Der Mann war offensichtlich ein Tölpel.
»In der Tat, ich sage es ganz offen, ich bin ein Elektriker und will Ihnen auch nicht verheimlichen, dass ich ganz nah dran bin an den bahnbrechenden Experimenten unseres Jahrhunderts mit den modernsten, raffiniertesten Maschinen, die die besten sächsischen Instrumentenbauer …«
Da Manteuffel selten so viel auf einmal mit Frauen sprach, hatte er jetzt einen Frosch im Hals stecken und musste würgen. Charlotte hielt schnell ihr Glas in die Fontäne des spitzohrigen Fauns, ließ es randvoll laufen, sodass der Wein überschwappte, als sie es dem Grafen an die Lippen hielt.
»Zu freundlich, zu freundlich, wirklich …«
Er trank gierig, hustete noch ein paar Mal, und Charlotte hatte das Gefühl, dass seine vorgewölbten Augäpfel ihr gleich in den Ausschnitt fallen würden. Also schlug sie eine strengere, gebieterische Tonart an. Dass der Wechsel von Zuckerbrot zu Peitsche bei Männern fast immer nötig war, hatte sie ebenfalls von ihrer Mutter gelernt.
»Maschinen, sagten Sie gerade! Welche Maschinen?«
»Ja, die
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