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Der Erdbeerpfluecker

Der Erdbeerpfluecker

Titel: Der Erdbeerpfluecker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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zwei Nächte nicht zu Hause gewesen und hatte sich noch immer nicht gemeldet. Ihr Handy war ausgeschaltet, sodass wir sie nicht erreichen konnten.
    Wir waren zur Polizei gegangen, um Caro als vermisst zu melden. Und dann verselbstständigte sich plötzlich alles.
    Der Polizeibeamte, der sich mit uns unterhalten hatte, führte ein Telefongespräch und bat uns danach, auf einen Kollegen von der Kripo zu warten, der ein paar Fragen an uns habe. Er führte uns in einen kleinen Raum, in dem nur ein Tisch mit Stühlen stand, und bot uns etwas zu trinken an. Wir waren aber zu aufgeregt und lehnten ab.
    »Kripo?«, fragte Merle. »Wieso denn Kripo?«
    »Das wird Ihnen der Kommissar erklären«, sagte der Beamte und verschwand.
    Wir saߟen in diesem kahlen Raum und guckten auf die gelb gestrichenen Wände, an denen auߟer einem Jahreskalender ohne Eintragungen nichts hing.
    »Wieso Kripo?«, fragte Merle wieder. In ihren Augen stand die Angst. Sie atmete schneller als sonst und laut, als hätte sie Asthma. Man hörte nur ihren Atem und hinter der Tür leises Murmeln von Stimmen und ab und zu das Klingeln eines Telefons.
    Ich weiߟ nicht, wie lange wir dort so gesessen haben, ohne zu reden, bis ein Mann ins Zimmer kam, der keine Uniform trug, sondern ganz normale Sachen. Er gab uns die Hand und stellte sich vor. Es war der Kommissar, auf den wir warteten, und er hieߟ Bert Melzig.
    Er stellte uns alle möglichen Fragen und beobachtete uns mit zusammengekniffenen Augen, während wir antworteten. Es war wie im Film.
    Vielleicht hatte ich deshalb auch die Vorahnung. Weil ich genügend Filme dieser Art gesehen hatte. Mein Magen verkrampfte sich. Für einen Moment bekam ich keine Luft.
    Merle schien es genauso zu gehen. Ihr Gesicht war von einem Augenblick auf den anderen schmaler geworden. Zumindest kam es mir so vor. Ihre Augen wirkten dunkler. Und riesengroߟ. Sie fasste nach meiner Hand. Ihre Finger waren klamm.
    Der Kommissar war nett. Er hatte uns doch etwas zu trinken bringen lassen, dünnen, grauen Tee, lauwarm. Er schmeckte widerlich, viel zu stark gesüߟt. Trotzdem tat er gut. Er hatte etwas Tröstliches, wie der heiߟe Kakao früher, wenn ich an Winternachmittagen vom Spielen nach Hause kam.
    Aber er sollte uns auch auf etwas vorbereiten. Darauf nämlich, dass der Film Wirklichkeit wurde, die Vorahnung sich bewahrheitete. Der Kommissar fragte, ob wir uns zutrauten, ein Mädchen zu identifizieren, das sie am Vormittag gefunden hatten.
    »Ein totes Mädchen?«, fragte Merle unsinnigerweise. Sie schüttete den Tee in einem Zug hinunter. Die Angst in ihren Augen hatte sich in Panik verwandelt.
    Es war nicht besonders warm in diesem Zimmer. Trotzdem schwitzte ich und ich sah, dass auch auf Merles Oberlippe Schweiߟperlen standen. Die Frage dehnte sich im Raum.
    »Ja«, sagte der Kommissar und blickte uns abwartend an. Ich war ihm dankbar dafür, dass er nicht drängte.
    Merles geweitete Augen sagten: Nein. Ihr Kopf nickte Bestätigung.
    Ich saߟ da wie festgeklebt. Lieߟ mich von Merle vom Stuhl ziehen. Weiche Knie. Ein Schlingern im Magen. Der Boden unter meinen Füߟen war wie aus Watte. Die Geräusche hatten entweder aufgehört oder ich nahm sie nicht mehr wahr.
    Wir fuhren ein Stück in einem Wagen. Niemand sagte ein Wort. Auch dafür war ich dankbar. Dann hielten wir an. Liefen über einen Parkplatz. Irgendwo heulte eine Bohrmaschine. Woanders kläffte ein Hund. Eine Tür schlug zu.
    Ich nahm Merles Hand. Sie war bei all der Hitze eiskalt, kälter als meine.
    »Scheiߟe«, flüsterte Merle. Ihre Zunge stieߟ an den Zähnen an.
    Ich drückte ihre Hand. Mir fiel nicht ein, was ich sagen könnte. Ich zitterte so heftig, dass ich die Zähne zusammenbeiߟen musste, damit sie nicht aufeinander klapperten.
    Wir betraten ein altes Backsteinhaus. Liefen über einen endlosen Flur mit schmuddeligen Wänden. Neonlampen verströmten kränkliches Licht. Unsere Schuhe quietschten auf dem Boden. Das Geräusch passte nicht hierher. Es war auch viel zu laut.
    Der Körper des Mädchens, das wir identifizieren sollten, lag schon bereit, verborgen unter einem grünen Tuch. Ich dachte, wie seltsam das doch war. Sollte das Tuch nicht weiߟ sein? Hieߟ es in alten Geschichten nicht immer, Schnee liege wie ein weiߟes Leichentuch über dem Land?
    Ich spürte ein Pochen in den Ohren und im Hals. Meine Füߟe wollten sich nicht mehr bewegen. Höchstens in die entgegengesetzte Richtung. Mein Körper war schwer.

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