Der Erdbeerpfluecker
Der Erdbeerpflücker
Kapitel 1
Es war einer dieser Tage, an denen man die Hitze riechen konnte. Die von der Sonne verbrannte Haut. Den Schweiß, der aus sämtlichen Poren trat, sobald man sich bewegte. Einer dieser Tage, die ihn kribblig machten und gereizt. An denen man ihm besser nicht in die Quere kam.
Die andern hatten sich allmählich daran gewöhnt. Sie ließen ihn in Ruhe arbeiten, sprachen ihn nicht an, dämpften sogar die Stimme, wenn er an ihnen vorbeiging.
Er konnte nicht verstehen, dass es Menschen gab, die immerzu redeten. Sie machten keinen Unterschied zwischen Wichtigem und Unwichtigem, überschütteten einfach alles mit ihren kleinen, dummen, aufgeregten Worten. Schon als Kind hatte er gelernt, sich dagegen zu wappnen, indem er sich in sich selbst zurückzog. Er liebte es zu sehen, wie die Lippen seines Gegenübers sich bewegten, ohne dass auch nur ein Ton seine Ohren erreichte. Wie ein Fisch, dachte er dann. Wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Früher hatte er für solche Rückzüge Schläge kassiert. Heute merkte niemand mehr, dass er abgetaucht war. Die meisten Menschen waren armselig und dumm wie ihre Worte.
Noch eine Stunde, dann würde es Mittagessen geben. Er würde das rasch hinter sich bringen und sich wieder an die Arbeit machen.
Er wusste, wohin diese Unruhe ihn brachte, wenn er sich nicht ablenkte. Was passierte, wenn seine Hände anfingen zu zittern. Wie jetzt.
Oh Gott. Er unterdrückte ein Stöhnen. Zwei Frauen drehten sich nach ihm um. Er kannte sie kaum. Finster starrte er sie an. Sie senkten den Blick und wandten ihm wieder den Rücken zu.
Die Sonne am Himmel war ein einziges Gleißen.
Brenn mir diese Gedanken aus dem Leib, dachte er. Bitte! Und diese Gefühle!
Aber die Sonne war nur die Sonne.
Sie hatte nicht die Kraft, ihm Wünsche zu erfüllen.
Diese Kraft hatte nur eine Fee.
Jung. Schön. Und unschuldig. Das vor allem.
Und nur für ihn auf der Welt.
Der Fahrtwind fächelte den Duft nach frischen Erdbeeren ins geöffnete Fenster. Und die Hitze, die in diesem Jahr viel zu früh gekommen war. Der Rock klebte mir an den Beinen. Auf meiner Oberlippe standen Schweißperlen. Ich liebte meinen alten, klapprigen Renault mit seinen Macken, aber an manchen Tagen sehnte ich mich heftig nach einem jüngeren Modell mit Klimaanlage.
Nach der Kurve konnte ich sie sehen - die Erdbeerpflücker auf den Feldern, wie sie sich über die Pflanzen beugten oder vorsichtig zwischen ihnen entlanggingen, gefüllte Kisten auf den Armen balancierend. Sie erinnerten mich an baumwollpflückende Sklaven. Bunte Tupfer auf der weiten grünen Fläche, braun gebrannt von der Sonne.
Sie waren Saisonarbeiter, viele von ihnen aus Polen, viele von anderswo, viele aus den entlegensten Winkeln Deutschlands, die letzten Abenteurer, eine alljährliche Invasion, vor der die Dorfbewohner Türen und Fenster verschlossen.
Abends trafen sich die fremden Frauen und Männer, die Jungen und Mädchen am Brunnen, dem Mittelpunkt des Dorfs, tranken, rauchten, redeten, lachten. Sie hielten sich abseits, grüßten die Nachbarn nicht, lächelten ihnen nicht mal zu.
Es stimmte schon mit manchen Sprichwörtern.
Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
Die Dorfbewohner hatten Misstrauen gesät und ernteten nun die Zurückhaltung, die sie verdienten.
Ich fuhr die lange, gewundene Auffahrt zum Haus hinauf. Der weiße Kies knirschte unter den Reifen. Wie im Film, dachte ich. Alles viel zu perfekt, viel zu gut, um wahr zu sein. Was, wenn ich aufwachte und feststellte, dass ich nur träumte?
Sobald man sich dem Haus näherte, konnte man das Geld förmlich riechen, das hier in jedem Detail steckte. Die ehemalige Wassermühle war sorgfältig und kostspielig restauriert worden. Selbst den Bachlauf hatte der Architekt in die Innenausstattung mit einbezogen, indem er ihn angezapft und in einer schmalen Rinne durch die Eingangshalle geführt hatte.
Die Sonne spielte auf dem zweihundert Jahre alten roten Backstein, ließ den Kiesbelag erstrahlen und brach sich in der Glasfront des Anbaus, der aussah wie von einem Science-Fiction-Autor erdacht.
Das Haus meiner Mutter. Seine Schönheit fesselte mich bei jedem Besuch aufs Neue.
Ich schloss die Tür auf und betrat die Halle. Eine wohl tuende Kühle empfing mich. Und unser Kater Edgar, der seinen Namen der simplen Tatsache verdankt, dass meine Mutter die Geschichten von Edgar Allan Poe vergöttert.
Ich hob ihn auf und knuddelte ihn, wobei enorm viele
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