Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
haben.«
Und er stapfte von dannen in rechtschaffenem Zorn, welcher sich allmählich abkühlte zu einem unguten Gefühl, das große Ähnlichkeit mit Scham hatte.
Als die kargischen Emissäre schließlich ankündigten, sie würden sich bald empfehlen, setzte Lebannen eine sorgfältig formulierte Botschaft für König Thol auf. Er brachte darin seine Wertschätzung für die Ehre zum Ausdruck, die Prinzessin in Havnor zu Gast haben zu dürfen, und welches Vergnügen es ihm und seinem Hofe bereite, sie in die Sitten und Bräuche sowie die Sprache seines Königreiches einzuweihen. Den Ring ließ er ebenso unerwähnt wie das Thema Heirat.
Am Abend nach seinem Gespräch mit dem traumgeplagten Zauberer von Taon traf er zum letzten Mal mit den kargischen Abgesandten zusammen und überreichte ihnen seinen Brief an den Hohen König. Er verlas ihn zuvor laut, so, wie es der Botschafter bei seiner Ankunft mit Thols Brief gemacht hatte.
Der Botschafter lauschte mit selbstzufriedener Miene. »Der Hohe König wird erfreut sein«, prophezeite er.
Während er im Anschluss daran die üblichen Artigkeiten mit den Emissären austauschte und die Geschenke darbrachte, die er Thol als Mitbringsel zugedacht hatte, rätselte Lebannen herum, wieso der Botschafter seine ausweichende Antwort so widerstandslos, ja geradezu zufrieden hingenommen hatte. Seine Gedanken führten allesamt zu demselben Schluss: Er weiß, dass ich sie am Hals habe. Worauf sein Geist eine leidenschaftliche, stumme Antwort gab: Niemals.
Er erkundigte sich, ob der Botschafter einen Abstecher zum Flusshaus machen wolle, um seiner Prinzessin Lebewohl zu sagen. Der Botschafter schaute ihn verdutzt an, so als hätte Lebannen ihn gefragt, ob er sich von einem Paket verabschieden wolle, das er abgeliefert hatte. Lebannen fühlte, wie der Zorn wieder in seinem Herzen hochstieg. Er sah, wie sich das Antlitz des Botschafters ein wenig veränderte, wie es einen wachsamen, beschwichtigenden Ausdruck annahm. Lebannen lächelte und wünschte den Abgesandten einen günstigen Wind nach dem Kargadreich. Sodann verließ er das Audienzzimmer und begab sich in sein Privatgemach.
Ritus und Zeremoniell bestimmten und beengten den Großteil seines Handelns, und als König stand er fast immer im Licht der Öffentlichkeit; aber weil er auf einen Thron gekommen war, der über Jahrhunderte hinweg verwaist gewesen war, in einen Palast, in dem es kein Protokoll gab, hatte er zumindest ein paar Dinge nach seinem Gusto einrichten können. So hatte er das Zeremoniell aus seinem Schlafgemach heraushalten können. Seine Nächte gehörten allein ihm. So wünschte er Eiche, der im Vorzimmer schlafen würde, eine gute Nacht und machte die Tür hinter sich zu. Drinnen setzte er sich auf sein Bett. Er fühlte sich müde und wütend und auf eine seltsame Weise einsam und bedrückt.
Um den Hals trug er stets eine zierliche goldene Kette mit einem kleinen Täschchen aus golddurchwirktem Tuch daran. In dem Täschchen war ein Kiesel: ein glanzloser, schwarzer Stein, scharfkantig und grob. Er holte ihn hervor und wog ihn in der Hand, während er dasaß und nachdachte.
Er versuchte, sich von diesem ganzen Unfug mit dem kargischen Mädchen abzulenken, indem er seine Gedanken auf den Zauberer Erle und seine Träume lenkte. Aber alles, was ihm zu Bewusstsein kam, war ein schmerzender Neid auf Erle, darauf, dass dieser auf Gont an Land gegangen war, mit Ged gesprochen und bei ihm gewohnt hatte.
Deshalb fühlte er sich einsam und traurig. Der Mann, den er seinen Herrn nannte, der Mann, den er mehr als alle ändern geliebt hatte, wollte ihn weder bei sich empfangen noch selbst zu ihm kommen.
Glaubte Ged, weil er seine magische Kraft eingebüßt hätte, würde Lebannen ihn geringer schätzen oder gar verachten?
Brachte man in Anschlag, welche Macht der Herrschaft über die Köpfe und Herzen der Menschen innewohnte, war dieser Gedanke so unplausibel nicht. Aber Ged kannte ihn gewiss besser, oder zumindest dachte er besser von ihm.
Oder konnte es sein, dass Ged, nachdem er wahrhaftig Lebannens Herr und Führer gewesen, nicht ertragen konnte, sein Untertan zu sein? Das mochte in der Tat schwer für den alten Mann sein: die plumpe, unwiderrufliche Umkehrung ihrer Stellung.
Aber Lebannen erinnerte sich ganz deutlich daran, wie Ged vor ihm niedergekniet war, einst auf dem Rokkogel, im Schatten des Drachen und im Angesicht der Meister, deren Meister er, Ged, gewesen war. Er war aufgestanden, hatte Lebannen
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