Der Fall Collini
Leinen«. Er fand es etwas zu pompös, aber es gefiel ihm trotzdem. Die Kanzlei, zwei Zimmer, lag im Hinterhaus einer Seitenstraße des Kurfürstendamms. Es gab zwar keinen Aufzug und die Mandanten mussten durch ein enges Treppenhaus, aber Leinen war sein eigener Herr und nur sich selbst verantwortlich.
Es war Sonntagvormittag, seit Stunden räumte er das Büro auf. Überall standen offene Umzugskartons, die Besucherstühle stammten von einem Flohmarkt, der Metallschrank für die Akten war vollkommen leer. Den Schreibtisch hatte ihm sein Vater geschenkt.
Nach dem Anruf des Richters suchte Leinen sein Jackett. Er fand es unter einem Stapel Bücher. Die neue Robe zog er vom Fenstergriff, stopfte sie in seine Aktentasche und rannte los. Zwanzig Minutennach dem Anruf stand er im Zimmer des Ermittlungsrichters.
»Rechtsanwalt Leinen, guten Tag, Sie hatten mich angerufen.« Er war etwas außer Atem.
»Ah, vom Notdienst, ja? Gut, gut. Köhler.« Der Richter stand auf, um ihm die Hand zu geben. Ungefähr fünfzig Jahre alt, Salz-und-Pfeffer-Jackett, Lesebrille. Er sah freundlich aus, vielleicht etwas zerstreut. Aber das täuschte.
»Mordsache Collini. Wollen Sie noch mit Ihrem Mandanten sprechen? Wir müssen sowieso noch auf den Staatsanwalt warten. Der Abteilungsleiter, Oberstaatsanwalt Reimers, kommt selbst, obwohl es ein Wochenende ist … Na ja, wahrscheinlich eine Berichtssache. Also, wollen Sie mit ihm sprechen?«
»Gerne«, sagte Leinen. Für einen Moment überlegte er, was so wichtig an dieser Mordsache sein könnte, dass Reimers selbst kam, aber er vergaß diesen Gedanken, als der Wachtmeister eine Tür öffnete. Direkt dahinter führte eine schmale Steintreppe steil abwärts. Die Gefangenen wurden über diese Treppe aus der Haftanstalt zum Richter gebracht. Auf dem ersten Absatz stand im Halbdunkel ein riesiger Mann, er lehnte an der gekalkten Wand und verdeckte mit seinem Kopf beinahe vollständig die einzige Leuchte. Seine Hände waren mit Handschellen auf den Rücken gebunden.
Der Wachtmeister ließ Leinen durch und schloss die Tür hinter ihm. Leinen war mit dem Mann allein. »Guten Tag, mein Name ist Leinen, ich bin Rechtsanwalt.« Es war nicht viel Platz auf dem Absatz, der Mann stand zu nahe.
»Fabrizio Collini.« Der Mann sah Leinen nur kurz an. »Ich brauche keinen Anwalt.«
»Doch, den brauchen Sie. Nach dem Gesetz müssen Sie sich in einer solchen Sache von einem Anwalt verteidigen lassen.«
»Ich will mich nicht verteidigen«, sagte Collini. Auch sein Gesicht war riesig. Breites Kinn, der Mund nur ein Strich, die Stirn vorgewölbt. »Ich habe den Mann getötet.«
»Haben Sie bei der Polizei schon ausgesagt?«
»Nein«, sagte Collini.
»Dann sollten Sie auch jetzt schweigen. Wir reden, wenn ich die Akte kenne.«
»Ich möchte nicht sprechen.« Seine Stimme war dunkel und fremd.
»Sind Sie Italiener?«
»Ja. Aber ich lebe seit fünfunddreißig Jahren in Deutschland.«
»Soll ich Ihre Familie benachrichtigen?«
Collini sah ihn nicht an. »Ich habe keine Familie.«
»Freunde?«
»Es gibt niemanden.«
»Dann fangen wir jetzt an.«
Leinen klopfte, der Wachtmeister öffnete wieder die Tür. Im Verhandlungszimmer saß Oberstaatsanwalt Reimers bereits am Tisch, Leinen stellte sich kurz vor. Der Richter zog aus dem Stapel vor sich eine Akte. Collini setzte sich auf eine Holzbank hinter einem niedrigen Gitter, neben ihm stand der Wachtmeister.
»Bitte nehmen Sie dem Beschuldigten die Handschellen ab«, sagte Köhler. Der Wachtmeister schloss sie auf, Collini rieb sich die Handgelenke. Leinen hatte noch nie so große Hände gesehen.
»Guten Tag. Mein Name ist Köhler, ich bin heute der für Sie zuständige Ermittlungsrichter.« Er deutete auf den Staatsanwalt. »Das ist Oberstaatsanwalt Reimers, Ihren Verteidiger kennen Sie ja bereits.« Er räusperte sich, sein Ton wurde sachlich, er sprach jetzt ohne jede Betonung. »Fabrizio Collini, Sie sind heute hier, weil die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Sie wegen Mordes beantragt hat. Das ist der Termin, an dem ich entscheide, ob ich den Haftbefehl erlasse. Verstehen Sie ausreichend Deutsch?«
Collini nickte.
»Bitte nennen Sie Ihren vollen Namen.«
»Fabrizio Maria Collini.«
»Wann und wo sind Sie geboren?«
»26. März 1934 in Campomorone bei Genua.«
»Staatsangehörigkeit?«
»Italienisch.«
»Wo sind Sie gemeldet?«
»In Böblingen, Taubenstraße 19.«
»Welchen Beruf haben Sie?«
»Ich bin Werkzeugmacher. Ich habe
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