Der falsche Mörder
mir sowieso schon den Tag versaut.
Wahrscheinlich werde ich bis in den späten Abend hinein aufgedreht und genervt sein. Wie immer, wenn ich nicht zu meinem Recht komme. Und er ist an allem schuld.
»Würdest du mich jetzt bitte hereinlassen?«, wiederholt das Klingelmännchen standhaft.
Er ist jünger, als ich erwartet habe. Wahrscheinlich Ende dreißig. Schlank. Mit aschblondem Haar und ein paar traurigen Härchen, die einen Schnauzer darstellen sollen.
»Ich habe in den vergangenen zwei oder drei Stunden deine beiden Telefonnummern abwechselnd angerufen, aber bekam immer die automatischen Ansagen«, sagt er entschuldigend. »Aber weil die Sache nicht warten kann, musste ich direkt zu dir fahren, obwohl es ein Feiertag ist.«
Er zieht seinen dunklen Wintermantel aus. Sieht aus wie ein Amtsschimmel. Aktentaschenträger. Bürokrat. Steckt in einem grauschwarzen Anzug.
Da erst nehme ich den Kragen wahr.
»Bist du ein Pfarrer?«
»Ja. Erlaube mir, mich vorzustellen, ich bin Pfarrer Gudleifur Augúst Samsonarson. Ich möchte mich noch einmal entschuldigen, aber die Sache ist wirklich dringend, und ich habe meinem Schwiegervater versprochen, dass ich so lange versuchen würde, dich zu erreichen, bis ich mit dir persönlich gesprochen habe.«
Ich latsche an ihm vorbei.
Gehe direkt in mein Büro, das im Parterre direkt vom Flur abgeht. Setze mich in meinen schwarzen Chefsessel mit der hohen Lehne. Fixiere ihn mit den Augen: »Setz dich!«
Er nimmt auf dem Stuhl mir gegenüber Platz. Trägt seinen Mantel wie ein Baby.
»Und wer ist also dein wichtiger Schwiegervater?«, schnauze ich ihn an. »Der Typ da oben, oder was?«
»Ich bin im Auftrag von Adalgrímur Sunndal hierher gekommen.«
Was???
Ich halte die Luft an. Ganz unbeabsichtigt. Vor Verwunderung.
Adalgrímur Sunndal sitzt auf einem der höchstdotierten Posten der Verwaltung. War in den letzten fünfzehn Jahren oder so Richter am Obersten Gericht.
Warum wendet er sich an mich?
Verwaltungsbonzen und Politikusse sind seine besten Freunde.
»Du musst dich in der Tür geirrt haben«, sage ich nach einer Weile Schweigen.
»Ganz und gar nicht.«
»In der Rechtsanwaltsszene gibt es mehr als genug schleimige Schmeichler, die davon leben, solche Kerle aus banalen Schlammgruben zu retten. Das ist nicht mein Ding.«
»Adalgrímur braucht ganz dringend dich und niemand anderen.«
»Warum?«
Der Pfarrer tut sich plötzlich schwer, zum Kern der Sache vorzustoßen.
»Ich bin, ähem, natürlich völlig überzeugt davon, dass es sich hier um ein furchtbares Missverständnis handelt, aber
Adalgrímur ist tatsächlich gezwungen, heute Nachmittag vor Gericht zu erscheinen. Soweit ich verstanden habe, ist beim Richter Untersuchungshaft beantragt worden.«
»Untersuchungshaft? Für den Richter des Obersten Gerichts persönlich? Für was?«
»Ihm wird ein völlig abwegiges Vergehen unterstellt.«
Ich starre Pfarrer Gudleifur fest in die Augen: »Was für ein Verbrechen hat er begangen?«
Er wendet seinen Blick ab.
»Soweit ich verstanden habe, ähem, verdächtigt die Polizei ihn, dass er für den Tod einer jungen Frau verantwortlich ist«, antwortet er schließlich.
»Für einen Tod verantwortlich? Sprichst du über Mord?«
Der Pfarrer zuckt im Stuhl zusammen, als er dieses Wort laut ausgesprochen hört. Wie bei einem unerwarteten Hieb mit der Peitsche.
»Ich denke, dass du das richtige Wort gefunden hast.«
Ein Richter des Obersten Gerichts des Mordes verdächtigt?
So ein Blödsinn!
Pfarrer Gudleifur guckt mir wieder in meine starrenden Augen.
»Ist das dein Ernst?«, frage ich.
»Ja, leider.«
Ich fühle, wie mein Blut wieder mit Hochgeschwindigkeit durch meinen Körper rauscht.
Atme ein paar Mal tief ein, bis ich mich wieder eingekriegt habe, und wäge die Lage ab. Konzentriere mich dabei auf den Pfarrer, dem es überhaupt nicht gelingt zu überspielen, wie unangenehm ihm sein Auftrag ist.
»Soweit mir bekannt ist, kennt Adalgrímur dich nur durch deine Arbeit als Anwältin in verschiedenen Fällen«, fährt er fort. »Aber genau deshalb will er von dir vertreten werden. In solchen Fällen nämlich, ähem, glaubt er an dich, wie er wortwörtlich gesagt hat.«
Der Kerl sagt höchstwahrscheinlich die Wahrheit. Warum sollte ein gesalbter Gottesmann mich verarschen?
»Warte hier«, sage ich und stehe auf. »Ich muss mal kurz unter die Dusche springen. Bin in einer Viertelstunde fertig. Okay?«
Er nickt wie ein gehorsamer Junge.
Ich flitze die
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