Der falsche Zeuge
dauert. Wahrscheinlich ein paar Tage. Was kann ich in der Zwischenzeit unternehmen?
Ich brauche Informationen. Ich habe zum Teufel noch mal nicht den geringsten Schimmer von Adrenalin! Nur das, was angeblich alle wissen: dass es in Gefahrensituationen durch den Körper rinnt. Wie mein amerikanisches Feuerwasser. Aber in diesem Fall hilft mir mein Wissen nicht weiter.
Es ist immer am besten, den einfachsten Weg zu gehen. Kenntnisse bei denen abzufragen, die darüber Bescheid wissen sollten.
Sobald ich wieder in mein Büro komme, rufe ich ein paar Ärzte an, die ich kenne. Einen nach dem anderen. Aber bei allen wird behauptet, sie wären mit Patienten beschäftigt.
Verdammt noch mal!
Schließlich habe ich keine Lust mehr. Knipse den Computer an. Checke meine Mailbox. Nichts Besonderes. Vielleicht auch besser so.
Ich wollte schon gerade mein Büro abschließen, als mein Hausarzt endlich auf meine Nachricht reagiert. Er ist nicht besonders erfreut, als er merkt, dass ich nicht krank bin.
»Ich rufe nur deshalb an. weil mir gesagt wurde, es sei sehr dringend«, sagt er säuerlich.
Ich versuche, ihn am Telefon weich zu spülen. Bade ihn in süßlichen Entschuldigungen, bis seine schlechte Laune verflogen ist. Schließlich lässt er sich darauf ein, mir eine kurze Nachhilfestunde zu geben.
»Adrenalin und Noradrenalin sind zwei nah verwandte Hormone, die der Körper selber produziert. Sie haben zum Beispiel großen Einfluss auf den Blutdruck«, erklärt er. »Aber diese wichtigen Hormone, die wir in der Fachsprache Epinephrin und Norepinephrin nennen, werden auch mit chemischen Verfahren als Medikament hergestellt.«
»Nehmen wir mal an, jemand hätte einen viel zu hohen Adrenalinspiegel im Blut. Wie würdest du dir das erklären?«
»Die Menge ist jedes Mal unterschiedlich, das kommt auf die Situation an. Wenn du zum Beispiel gestresst bist oder in einem Wettkampf alles geben musst, oder eben, wenn du in plötzlicher Lebensgefahr schwebst, verteilt Adrenalin sich im Körper. Es ist einfach seine Weise, dir zusätzliche Kraft zu geben, um mit Schwierigkeiten fertig zu werden.«
»Kann es denn zum Tod führen?«
»Adrenalin?«
»Ja?«
Mein Hausarzt zieht die Antwort in die Länge. »Also, eigentlich nicht«, antwortet er vorsichtig.
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, dass ich noch nie von einem Fall gehört habe, wo der Körper eines Patienten so viel Adrenalin produziert hat, dass allein das zum Herztod geführt hat.«
»Aber?«
»Na ja, also, es ist nun mal so, dass Epinephrin als Medikament auf unterschiedlichste Weise benutzt wird«, antwortet er. »Es ist zum Beispiel eine übliche Komponente in Betäubungsmitteln. Ich weiß noch, dass ich mal von einem Fall in Großbritannien gelesen habe, wo dies zum Tod des Patienten geführt hat.«
»Was ist passiert?«
»Ich erinnere mich nicht an die Details.«
»Aber in groben Zügen?«
»Ja, ich weiß noch, dass es sich um eine kleinere Routineoperation handelte, in der alles schief ging.«
»Inwiefern?«
»Ich glaube, einem Teenager sollte der letzte Backenzahn in einer Reihe gezogen werden. Aber weil die Betäubung nicht gewirkt hat, wie sie sollte, fühlte der Junge plötzlich die Schmerzen und bekam Angst. Damit begann natürliches Adrenalin in großen Mengen durch den Körper zu fließen, darunter auch zum Herzen. Da wurde der bedauernswerte Fehler gemacht, zusätzliches Betäubungsmittel mit Adrenalin ins Zahnfleisch zu spritzen, aber damit wurde der Druck auf das Herz zu groß, und der Junge starb auf der Stelle.«
»Das bedeutet dann doch, dass zu viel Adrenalin tödlich sein kann.«
»In bestimmten Fällen wie diesem ist es tatsächlich so, aber es ist viel öfter der Fall, dass Adrenalin Menschenleben retten kann. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
»Wieso?«
»Als ich vor ein paar Jahren auf dem Notarztwagen Dienst gemacht habe, ist es mir zweimal gelungen, einen Patienten zu retten, indem ich Epinephrin direkt ins Herz gespritzt habe.«
»Direkt ins Herz?«
»Ja, das ist die einzige Möglichkeit in diesen Notfällen.«
Plötzlich geht mir ein Licht auf.
Eureka!
Meine persönliche Adrenalinfabrik fährt zu Hochtouren auf, während mein Herz einen schmerzhaften Sprung macht. Auf einmal erscheint mir der wirkliche Ablauf der Geschehnisse im Althing wie ein realistischer Film vor meinem inneren Auge. Immer wieder. Wie eine ständig wiederholte Szene aus einem aufregenden Kinofilm.
So könnte es gewesen sein. Genau so.
Ich
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