Der Feigling
Und dann
freue ich mich wieder auf die Semesterferien.«
Der Wirt brachte das Hauptgericht.
Filetstreifen, Bambussprossen, irgendwelche Schlingpflanzen dazwischen,
wunderbar, alles in einer scharfen Soße. Dazu Reis, feste Körner in lockeren
Haufen, die zwischen den Zähnen knackten und auf der Zunge zerflossen.
»Ich will Stäbchen!«
»Herr Wu — Stäbchen!«
Barbara aß mit Hingabe. Die Stäbchen
waren widerspenstig. Am Anfang rutschte alles über den Tellerrand. Ein Reiskorn
mit Soße traf den Feigling an der Stirn.
»Oh — Verzeihung! Mein Gott, ich
ruiniere den ganzen Tisch!«
»Macht gar nichts.« Er wischte sich den
Reis vom Kopf.
Barbara kaute und blickte zu Herrn Wu
hinüber. »Komischer Mann. Ob die uns eines Tages überrennen?«
»Kann sein«, antwortete er. »Würde es
Ihnen was ausmachen, gelbe Kinder zu kriegen?«
»Weiße wären mir lieber, wenn ich’s
aussuchen könnte.«
»Verstehe. Manchmal wird nicht gefragt.«
»Haben Sie Kinder?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube
nicht. Außerdem bin ich unverheiratet.«
»Wie alt sind Sie?«
»Vierzig. Sie?«
»Neunzehn.«
»Lieber Himmel. Sie könnten meine
Tochter sein, wenn ich — äh —, aber...«
»Was aber?«
»Nichts Besonderes.«
»Ich will es wissen.«
»Sie — wären dann nicht so hübsch.
Bestimmt nicht.«
»Quatsch. Ich bin nicht hübsch!«
Ȇberlassen Sie die Entscheidung
Leuten, die was davon verstehen.«
Barbara schaffte den Rest ihres Essens
mit Mühe. Sie schob den Teller von sich.
»Bißchen Nachtisch gefällig? Hier gibt
es Bananen in Honig.«
»Sind Sie irrsinnig? Ich platze!«
»Nicht platzen. Mein Anzug. Geht noch
ein Schnaps rein?«
»Der geht rein.«
Sie tranken noch eine Schale von dem
herrlichen Zeug. Barbara nahm sich eine Zigarette. »Sie rauchen nicht?«
»Nein. Deswegen bin ich auch so alt
geworden.«
Als sie sich von Herrn Wu verabschiedet
hatten und zum Wagen gingen, merkte Barbara, daß er alles bezahlt hatte.
»Sie! Sofort sagen Sie mir, wieviel die
Hälfte ausmacht!«
Er lächelte treuäugig. »Um Gottes
willen! Auch noch rechnen nach dem Essen.«
Sie hielt ihn am Arm fest. Ihre Augen
funkelten. »Sie haben versprochen, daß ich meines bezahlen darf! Sofort sagen
Sie mir...«
»Ja, ja, ja«, murmelte er. »Bedenken
Sie, daß ich zu Ihren Lasten schwarzhöre. Außerdem — Sie bezahlen das nächste
Mal alles zusammen — wie wäre das?«
Unwillig machte sie sich los. »Pah,
uralter Trick.«
»Haben Sie Mitleid, Bärbel. Denken Sie
an mein Alter.«
Mit vorgeschobener Lippe nahm sie
Platz. »Schließen Sie die Augen«, sagte er. »Verdauen Sie und denken Sie dabei
an das Essen in der Mensa. An die zahlreichen Gerichte, die freundliche
Bedienung, die aufgelockerten Tischreihen, die gute Luft und die heiteren
Kommilitonen ringsherum. Und dann verzeihen Sie mir.«
Sie lachte laut heraus. »Mensa! Ha!
Hilfe! Ich verzeihe Ihnen!«
Der Feigling lächelte. »Kann ich Sie
nach Hause fahren? Oder wollen Sie wieder in die Mühle zurück?«
»Nein. Für heute ist mein Bedarf
gedeckt. Außerdem hat mein Vater gesagt, ich darf das erste Semester
verbummeln.«
»Nur das erste?«
»Na ja — weil Sommer ist...«
»Was glauben Sie, was im Winter hier
los ist,« sagte er. »Mit dem Oktoberfest fängt es an, und mit dem Fasching hört
es auf. Und zwischendurch fällt Schnee. Saumäßig schwer, da was zu tun. Wo
wohnen Sie?«
Sie nannte ihm eine vornehme Gegend.
»Au. Was zahlen Sie da für Ihre
Kemenate?«
»Hundertsiebzig.«
»Junge, Junge, und da wollen Sie noch
beim Chinesen bezahlen.« Sie hielten wenig später vor Barbaras Haus. Es war
eine nette Villa mit Garten und Rasen und freundlichen Gardinen. In einem der
Fenster erschien ein Kopf und verschwand wieder.
»Angenehme Mittagsruhe, gnädiges
Fräulein«, sagte der Feigling. »Träumen Sie von Reisschnaps und gelben
Kindern.«
»Auf Wiedersehen, Herr Hase. Es war
fein.«
»Freut mich«, sagte er. Er blickte auf
das Pflaster, als traute er sich nicht, wie immer. »Bärbel — hätten Sie Zeit
und Lust — sozusagen zeitliche Lust, am Sonntag mit in eine Gegend zu fahren —
in irgendeine —, der Staub ist hier so ungesund, und dann die vielen Abgase und
so...«
Sie schüttelte ihre Haarkugel. »Tut mir
leid, Häslein. Besetzt. Jedenfalls höchstwahrscheinlich.«
»So.«
Er tat ihr leid, so unglücklich sah er
aus. Er strich über sein Haar.
»Hm, aber — vielleicht bleibt ein
kleiner Rest von Unwahrscheinlichkeit — ein
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