Der fliegende Weihnachtskater
kuscheln. Stattdessen schloss ich mich Janina an, die sich nach einem kritischen Blick auf ihren Vater abwandte und den Baum betrachtete.
»Shardul, der muss geschmückt werde. Komm, hilf mir!«
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Janina öffnete die Kisten, die neben der Tanne standen, und holte allerlei Spielzeug heraus. Bunte Kugeln, Sterne, Glastropfen. Es war äußerst unterhaltsam, denn sie hängtedieses Zeug an die Äste, von denen es baumelte und schwankte, wenn man mit den Pfoten daranstupste. Besonders schön fand ich es, dass sie lauter glitzernde Silberfäden über die Zweige hing.
Aber dann fiel mir plötzlich etwas ganz Wichtiges ein.
Etwas galt es für mich noch zu erledigen.
Ich strebte zum Schlafzimmer, hüpfte auf die Kommode und rieb meine Wangen an der Messingvase.
Ich wartete, bereit, höchst demütig und dankbar dem Meena-Geist meine Achtung zu bezeugen.
Nichts tat sich.
Ich rieb noch einmal daran. Schnurrte.
Leer.
Ausgeflogen.
Oder?
Ich schnüffelte oben am Rand der Vase.
Täuschte ich mich, oder war da ein entfernter Hauch einer Markierung? Geradezu ein geisterhafter Geruch? Eine flüchtige Botschaft.
Ein Abschied.
Aber natürlich! Meena war auf die Goldenen Steppen gewandert. Sie hatte Amita freigegeben.
Ich hatte meine Aufgabe übernommen – das Silberfädchen war neu geknüpft worden.
Noch einmal streifte ich die Vase liebevoll mit meinen Barthaaren.
»Mach’s gut, Meena. Und komm bald wieder!«, brummelte ich.
»Doch Papa, so war das«, sagte Janina. »Als Amita nichts mehr durch den Schnee sehen konnte, tauchte der rote Teppich mit Shardul auf. Er hat uns geholfen zu landen. Und dann ist er ins Wasser gefallen.«
Ihr Vater schüttelte den Kopf.
»Man hat manchmal solche Phantasiebilder, wenn man in Lebensgefahr schwebt, Janina.«
»Und wieso hat Amita Shardul dann aus dem See gefischt?«
»Das, Janina, frage ich mich auch schon seit diesem Augenblick. Erst dachte ich, da sei ein Kind ins Wasser gefallen, aber dann sah ich seine Augen. Irgendwie … Himmel, ich verstehe das auch nicht. Remo, hast du ihn heute rausgelassen?«
»Nein, natürlich nicht. Aber auf irgendeine Weise scheint er aus der Wohnung entwischt und zum See gelaufen zu sein. Obwohl, das ist für eine Katze eine ganz schöne Strecke.«
»Und warum sollte er ins Wasser gesprungen und zum Flugzeug geschwommen sein, Papa? Mhm?«
»Hast du dir das vielleicht auch eingebildet, Amita?«
»Papa! Ich hab Shardul die ganze Zeit an mich gedrückt gehalten.«
»Ich verstehe das nicht.«
»Ich auch nicht, Remo. Fliegende Teppiche sind zwar Bestandteil eines alten, zauberhaften Märchens, aber in Wirklichkeit …«
»Aber Mita, wo ist denn der Teppich?«
»Draußen auf der Balkonbrüstung. Shardul hat heute Morgen draufgepinkelt.«
Janina hüpfte zum Fenster, machte es auf und schaute raus.
»Da ist kein Teppich!«
»Er wird runtergefallen sein. Es war windig.«
»Dann gehen wir jetzt runter und holen ihn hoch!«
Doch unten im Hof war kein Teppich.
Frierend kam Remo zurück in Amitas Wohnung.
»Für heute will ich einfach glauben, dass hier ein Wunder geschehen ist«, murmelte er und setzte sich neben Amita. Die Lichter des Weihnachtsbaumes leuchteten und brachten blaue Kugeln und silbernes Lametta zum Schimmern.
Janina kuschelte sich an die andere Seite von Amita. Shardul schlich aus dem Schlafzimmer zu ihnen und hüpfte auf ihren Schoß.
Still saßen sie zusammen, und goldene Fädchen hüllten sie ein in einen friedlichen Kokon aus Liebe und Vertrauen.
Fundsache
Weihnachten war ein tolles Fest, das wusste ich jetzt zu würdigen. Mein Bauch war fast zum Platzen gefüllt, meine Pfoten waren warm, mein Fell glänzte, weil Amita es gebürstet hatte, und meine Kehle war voller Schnurren.
Außerordentlich zufrieden musterte ich den roten Teppich. Er war jetzt wieder schön sauber und trocken, und die rote Seide fühlte sich weich und vertraut unter meinen Pfoten an.
Ich hatte ein wenig bedauert, dass der Teppich untergegangen war. Nicht, weil ich nun endlich wusste, wie man ihm zum Fliegen brachte, sondern weil er die letzte Verbindung zu meiner Heimat war.
Verbindungen musste man pflegen.
Meine Trauer war jedoch von kurzer Dauer, denn am ersten Weihnachtstag waren Janina und ihr Vater zum See gefahren, um sich die Bergungsarbeiten anzusehen. Zurück kamen sie mit dem nassen Lappen, und aufgeregt erzählte Janina der verblüfften Amita, dass sie den Teppich, am flachen Ufer
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