Der Fluch des Khan
schwärzer wurde. Eine einzelne Wolke war dort aufgezogen, die augenscheinlich immer größer wurde, bis sie den ganzen Himmel bedeckte. Als die Dunkelheit anbrach, peitschte der Wind die See auf, und schwere Regentropfen pladderten auf das Schiff. Viele koreanische Kapitäne erkannten die ersten Anzeichen des aufkommenden Sturms und steuerten ihre Schiffe weiter von der Küste weg. Die chinesischen Seeleute indessen, die weniger Erfahrung mit der offenen See hatten, hielten törichterweise ihre Position nahe der Landestelle.
Temur, der in seiner schaukelnden Koje keinen Schlaf fand, stieg an Deck, wo sich acht seiner Männer, seekrank vom Toben der Elemente, an die Reling klammerten. Dutzende Lichter tanzten in der stockdunklen Nacht auf den Wogen, kleine, mit Kerzen bestückte Laternen, die die anderen Schiffe der Flotte kennzeichneten. Viele waren noch immer miteinander vertäut, und Temur sah das ständige Auf und Ab des Kerzenscheins in der rollenden Dünung.
»Ich kann Eure Truppen nicht an Land bringen«, schrie Yon Temur über den heulenden Wind hinweg zu. »Der Sturm nimmt noch zu. Wir müssen auf See hinaus, um nicht an den Felsen zermalmt zu werden.«
Temur nickte lediglich, ohne einen Einwand zu erheben.
Obwohl er sich nichts lieber wünschte, als mit seinen Soldaten das stampfende Schiff zu verlassen, wusste er doch, dass jeder derartige Versuch an Tollkühnheit grenzte. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als den Sturm abzuwarten, so sehr ihm beim bloßen Gedanken daran auch graute.
Yon ließ das Luggersegel am Vormast setzen und ging auf Westkurs. Mühsam kämpfte sich das stampfende Schiff durch die immer höher werdenden Wogen und entfernte sich allmählich von der Küste.
Auf den übrigen Schiffen der Flotte herrschte heillose Verwirrung. Zahlreiche chinesische Dschunken versuchten in der kochenden See Truppen an Land abzusetzen, doch die meisten blieben nahe der Küste vor Anker liegen. Nur vereinzelte Schiffe der Ostflotte folgten Yon und nahmen Kurs aufs offene Meer. Offenbar glaubten nur wenige, dass erneut ein Taifun über die Flotte hereinbrechen und sie ein weiteres Mal zerschlagen würde, so wie im Jahr 1274. Doch die Zweifler sollten bald eines Besseren belehrt werden.
Heftiger Wind und sintflutartige Regenfälle kündigten den näher ziehenden Supertaifun an. Kurz nach Anbruch der Morgendämmerung wurde der Himmel pechschwarz, dann brach der Sturm mit aller Macht los, peitschte Gischt und Regen waagerecht vor sich her und zerfetzte die Segel der rollenden und stampfenden Flotte, als wären sie von Hagelkörnern getroffen worden. Unter Donnerschlägen, die man kilometerweit hören konnte, brachen sich gewaltige Wogen an der Küste. Mit gellendem Wind, stärker als bei einem Hurrikan der Kategorie 4, traf der Wirbelsturm schließlich auf Kyushu.
Die japanischen Verteidiger an Land waren einer drei Meter hohen Sturmflut ausgesetzt, die über die Küste hinwegbrandete, Häuser, Ortschaften und Verteidigungsanlagen überschwemmte und Hunderte von Menschen ertränkte. Verheerende Winde entwurzelten Bäume und fegten Trümmer durch die Luft, die wie Geschosse einschlugen. Dazu fiel unentwegt sintflutartiger Regen, in manchen Gegenden bis zu dreißig Zentimeter binnen einer Stunde, der Täler überschwemmte und Flüsse über die Ufer treten ließ. Springfluten und Schlammlawinen, die innerhalb von Sekunden ganze Städte und Ortschaften unter sich begruben, forderten zahllose weitere Opfer.
Doch das Unheil, das die Küste heimsuchte, verblasste im Vergleich mit den wütenden Urgewalten, die über die mongolische Flotte auf See herfielen. Zu den mörderischen Winden und dem peitschenden Regen gesellten sich Mammutwellen, die der tobende Sturm auftürmte. Wogende Wasserberge brandeten gegen die Invasionsflotte an, brachten zahlreiche Schiffe zum Kentern und zertrümmerten andere. Schiffe, die zu nah an der Küste ankerten, trieben binnen kürzester Zeit machtlos in die felsigen Untiefen, wo sie zu Kleinholz zerschlagen wurden.
Spanten gaben nach und Balken brachen unter der Wucht der Wogen, sodass Dutzende von Dschunken einfach in der brodelnden See verschwanden. Die in der Hakata-Bai liegenden Schiffe, die noch immer miteinander vertäut waren, waren dem Sturm gnadenlos ausgeliefert. Und wenn eines unterging, zog es die anderen mit in die Tiefe. Die in den rasch sinkenden Schiffen gefangenen Besatzungsmitglieder und Soldaten starben eines schnellen Todes. Aber auch diejenigen, die sich ins
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