Der Frauenkrieg (German Edition)
sich.
Plötzlich vernahm man eine Stimme aus dem Hintergrunde des Hofes: »He! Nr. 1 ist leer, der andere Gefangene ist nicht mehr in seinem Zimmer; ich suche ihn vergebens und kann ihn nirgends finden.«
Bei diesen Worten durchlief alle ein Schauer, der Herzog von Larochefoucault bebte, und unfähig, eine erste Bewegung zu unterdrücken, streckte er seine Hand aus, als wollte er Canolles festnehmen. Claire sah die Bewegung und erbleichte.
»Kommt, kommt,« sagte sie zu dem jungen Manne, »laßt uns eilen.«
»Verzeiht, Madame,« sagte der Herzog; »ich bitte Euch um einen Augenblick Geduld: wir wollen diesen Irrtum aufklären, ich stehe Euch dafür, es ist in einer Minute abgemacht.«
Und auf ein zweites Zeichen des Herzogs schloß sich der Haufen wieder, der sich geöffnet hatte.
»Aber, mein Herr,« fragte Claire, »wozu soll ich warten? Frau von Condé hat die Freilassung des Herrn von Canolles unterzeichnet; hier ist der Befehl, er enthält seinen Namen; nehmt, seht.«
»Ja wohl, Madame, und es ist auch nicht meine Absicht, die Gültigkeit dieses Befehles in Abrede zu ziehen, er wird in einem Augenblick ebensogut sein, wie jetzt; faßt also Geduld, ich habe jemand abgeschickt, der ungesäumt zurückkommen muß.«
»Aber was geht das uns an?« fragte Claire, »und was hat Herr von Canolles mit dem Gefangenen in Nr. 1 gemein?«
»Herr Herzog,« sagte der Kapitän der Garden, den Herr von Larochefoucault abgeschickt hatte, »wir haben vergebens gesucht; der andere Gefangene ist nirgends zu finden; der Oberschließer ist ebenfalls verschwunden, und das Kind des letzteren, das man befragt hat, sagt, sein Vater und der Gefangene haben sich durch die geheime Pforte, die nach dem Flusse führt, entfernt.«
»Ho! ho!« rief der Herzog, »wißt Ihr etwas davon, Herr von Canolles? Eine Entweichung!«
Bei diesen Worten begreift und errät Canolles alles. Er begreift, daß es Nanon ist, die über ihm wachte; er begreift, daß er es ist, den man holen wollte, daß er es ist, den man als Bruder des Fräulein von Lartigues bezeichnet hatte; daß Cauvignac, ohne es zu wissen, seinen Platz eingenommen und die Freiheit da gefunden hat, wo er den Tod zu finden glaubte. Er fährt mit den Händen an die Stirn, erbleicht und wankt ebenfalls und erholt sich erst wieder, als er die Vicomtesse an seinem Arme zittern und erbleichen sieht; keines von diesen Zeichen eines unwillkürlichen Schreckens ist dem Herzog entgangen.«
»Schließt die Tore,« rief dieser. »Herr von Canolles, habt die Güte, zu verweilen; Ihr begreift, es muß sich alles aufklären.«
»Aber, Herr Herzog,« rief die junge Frau, »es ist hoffentlich nicht Euer Wille, Euch dem Befehle der Prinzessin zu widersetzen?«
»Nein, Madame,« erwiderte der Herzog, »doch ich halte es für wichtig, sie von dem, was vorgeht, in Kenntnis zu setzen. Ich sage Euch nicht: ›Ich werde selbst dahin gehen;‹ Ihr könntet glauben, es sei meine Absicht, einen Einfluß auf unsere erhabene Gebieterin auszuüben, sondern ich sage Euch: ›Geht Ihr, Madame, denn besser als irgend jemand, werdet Ihr von Frau von Condé Gnade zu erflehen wissen.‹«
Lenet machte Claire ein unmerkliches Zeichen.
»Oh! ich verlasse ihn nicht,« rief Frau von Cambes, krampfhaft den Arm des jungen Mannes pressend.
»Und ich,« sagte Lenet, »ich laufe zu Ihrer Hoheit; kommt mit mir, Herr Kapitän, oder Ihr selbst, Herr Herzog.«
»Wohl, ich begleite Euch; der Herr Kapitän wird hier bleiben und die Nachforschungen in meiner Abwesenheit fortsetzen; vielleicht findet er den andern Gefangenen.«
Und als wollte er dem letzten Teile seiner Rede noch einen besondern Nachdruck geben, sagte der Herzog von Larochefoucault dem Offizier einige Worte ins Ohr, worauf er sich mit Lenet entfernte. In demselben Augenblick werden die zwei jungen Leute durch die Woge von Reitern, die Herrn von Larochefoucault folgt, und hinter denen sich das Tor wieder schließt, in den Hof zurückgedrängt.
Seit zehn Minuten hat die Szene einen so ernsten, so düsteren Charakter angenommen, daß die Anwesenden einander stumm anschauen, und in den Augen Claires und Canolles' zu lesen suchen, wer von beiden am meisten leide. Canolles begreift, daß alle Kraft von ihm kommen muß; er ist liebevoll gegen seine Freundin, die mit geröteten Augen und zitternden Knien an seinen Armen hängt, ihn drückt, an sich zieht, ihm mit einer Miene erschreckender Zärtlichkeit zulächelt, und irre Blicke auf all den Menschen umherlaufen
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