Der fuenfte Berg
kaum noch. Seine Lippen waren aschfahl, seine Augen blickten stumpf.
»Betet zu Eurem Einzigen Gott«, bat die Frau. »Denn nur eine Mutter weiß, wann die Seele ihres Kindes dahingeht.«
Elia hätte gern ihre Hand ergriffen und ihr gesagt, daß sie nicht allein sei und Gott der Allmächtige ihr helfen würde. Er war ein Prophet, hatte dies am Ufer des Baches Krith auf sich genommen, und nun waren die Engel an seiner Seite.
»Ich habe keine Tränen mehr«, fuhr sie fort. »Wenn Er kein Erbarmen hat, wenn Er ein Leben will, dann bittet Ihn, meines zu nehmen und meinen Sohn weiter im Tal und durch die Straßen von Akbar gehen zu lassen.«
Elia tat alles, um sich auf sein Gebet zu konzentrieren, doch das Leid dieser Mutter war so groß, daß es gleichsam das ganze Zimmer füllte, in die Wände, die Türen, in alles eindrang.
Er berührte den Körper des Jungen. Das Fieber war nicht mehr so hoch wie an den beiden vorangegangenen Tagen - ein schlechtes Zeichen.
Der Priester war am Vormittag vorbeigekommen, um Kräuterumschläge auf das Gesicht und auf die Brust des Jungen zu legen. Die Frauen von Akbar hatten althergebrachte Rezepturen für Heilmittel mitgebracht, die im Laufe der Zeit schon oft ihre Heilkraft unter Beweis gestellt hatten. Jeden Nachmittag hatten sie sich am Fuße des Fünften Berges versammelt und geopfert, auf daß die Seele des Jungen seinen Körper nicht verlasse.
Ein ägyptischer Kaufmann auf Durchreise war von alledem so angerührt, daß er der Witwe ein kostbares rotes Pulver schenkte, das unter das Essen des Jungen gemischt werden sollte. Die Legende besagte, daß die Rezeptur dieser Arznei den ägyptischen Ärzten direkt von den Göttern eingegeben worden sei.
Inzwischen hatte Elia unablässig gebetet.
Doch es hatte nichts genützt - gar nichts.
»Ich weiß, warum sie Euch erlauben, hierzubleiben«, sagte die Frau, deren Stimme nur mehr ein Flüstern war, weil sie nächtelang nicht geschlafen hatte. »Ich weiß, daß auf Euren Kopf ein Preis gesetzt wurde, daß sie Euch eines Tages nach Israel schicken werden und daß Ihr dann gegen Gold eingetauscht werdet. Wenn Ihr meinen Sohn rettet, schwöre ich bei Baal und den Göttern des Fünften Berges, daß Ihr niemals gefangen werdet. Ich kenne längst vergessene Fluchtwege, und ich zeige Euch, wie Ihr Akbar unbemerkt verlassen könnt.«
Elia schwieg.
»Betet zu Eurem Einzigen Gott«, bat die Frau wieder. »Ich schwöre, Baal zu entsagen und an Ihn zu glauben, wenn Er meinen Sohn rettet. Erklärt Eurem Herrn, daß ich Euch beherbergt habe, als Ihr in Not wart, und daß ich getan habe, wie Er befohlen hat.«
Elia betete abermals und flehte mit all seiner Kraft. In genau diesem Augenblick regte sich der Junge.
»Ich will hier raus«, sagte der Junge mit schwacher Stimme.
Die Augen der Mutter leuchteten vor Freude, und sie weinte.
»Komm, mein Sohn. Laß uns hingehen, wohin du willst, tu, was du gerne möchtest.«
Elia wollte ihn auf den Arm nehmen, doch der Junge wies seine Hand zurück.
»Ich möchte allein hinausgehen«, sagte er.
Er stand langsam auf und begann zum Wohnzimmer zu gehen. Doch nach wenigen Schritten fiel er wie vom Blitz getroffen zu Boden.
Elia und die Witwe eilten zu ihm. Der Junge war tot.
Eine Weile blieben beide still. Dann fing die Frau an laut zu schreien.
»Verflucht seien die Götter, verflucht seien die, die die Seele meines Sohnes genommen haben! Verflucht sei der Mann, der das Unheil über mein Haus gebracht hat. Weil ich den Willen des Himmels befolgte und einen Fremden großzügig aufnahm, mußte mein Sohn sterben!«
Die Nachbarn hörten die Klagen der Witwe und sahen ihren Sohn auf dem Boden des Hauses liegen. Die Frau wehklagte weiter, schlug den israelitischen Propheten, der neben ihr stand, mit den Fäusten. Er aber reagierte nicht und wehrte sich nicht. Während die Frauen versuchten, die Witwe zu beruhigen, packten die Männer Elia und schleppten ihn vor den Stadthauptmann.
»Dieser Mann hat Großzügigkeit mit Haß vergolten. Er hat einen bösen Zauber auf das Haus der Witwe gelegt, und ihr Sohn ist gestorben. Wir beherbergen jemanden, der von den Göttern verflucht ist.«
Elia weinte. »Herr, mein Gott«, haderte er, »willst Du selbst meiner Gastgeberin so böse, daß Du ihren Sohn tötest? Du hast ihren Sohn getötet, weil ich die Mission, die mir aufgetragen wurde, nicht erfüllt habe und den Tod verdiene.«
Am selben Abend noch versammelte sich der Stadtrat von Akbar unter dem Vorsitz
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