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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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die Tatsache, dass ich, der ich nicht weniger dickköpfig und hochmütig als der fehlgeleitete Junge bin, ihnen schon bald ins Grab folgen werde.
    Die Sarazenen bestehen darauf, dass ich ein geschätzter Gast des Kalifen von Kairo sei. In Wahrheit ist das allerdings nur eine höfliche Umschreibung dafür, dass ich als Gefangener in seinem Haus lebe. Sie behandeln mich gut. Seit meiner Ankunft im Heiligen Land habe ich tatsächlich sogar noch nie solche Höflichkeit und Kultiviertheit kennen gelernt. Dennoch kann ich den Palast nicht verlassen, solange ich nicht vor den Kalifen gerufen worden bin. Es ist an ihm, über mein Schicksal zu entscheiden, und ich weiß nur allzu gut, wie die Entscheidung lauten wird.
    Doch so mag es sein; der große Kalif verfolgt seine Feinde im Süden und wird in nächster Zeit nicht in der Stadt zurückerwartet. So bleibt mir genug Zeit und Freiheit, alles niederzuschreiben, was es zu sagen gibt, damit du weißt, warum dein Vater alles, was er liebte, für nur eine einzige Gelegenheit riskiert hat, jenen Preis zu gewinnen, der alle anderen übertrifft.
    Einiges von dem, was ich hier erzählen werde, ist dir bekannt. Sollte das ermüdend für dich sein, bitte ich dich, es zu ertragen, und
    dich daran zu erinnern, dass dies hier, mein Testament, nicht nur für dich allein bestimmt ist, sondern auch für jene, die sich uns in unseren Mühen anschließen werden. So Gott will, wird alles erzählt sein, bevor das Ende kommt.
    Nun denn, wo soll ich anfangen? Lass uns mit jenem Tag beginnen, da Torf-Einar von den Toten zurückgekehrt ist.
    Ich war mit deinem Großvater Murdo in der Kirche und beaufsichtigte die Steinmetze. Den Sommer zuvor hatten wir eine Fuhre behauener Steine für die Bögen und Schwellen erstanden, und nun bereiteten wir den Ort für die Ankunft der Schiffsladung vor, die jederzeit eintreffen konnte. Dein Großvater und Abt Emlyn standen an einem Tisch im Hof und studierten die Zeichnungen, die Bruder Paulus für das Gebäude angefertigt hatte, als plötzlich einer der Mönche über die Felder gerannt kam, um uns mitzuteilen, dass ein Boot in die Bucht einlaufe.
    Rasch versammelten wir ein paar Leute, um die Neuankömmlinge willkommen zu heißen; dann gingen wir zur Bucht hinunter. Das Schiff war klein - nur ein Inselboot -, doch es stammte nicht von Orkneyjar. Auch war es keines von König Sigurds Fischerbooten, wie einige zunächst vermutet hatten. Die Seeleute hatten das Boot in flaches Wasser gerudert, und als wir die Bucht erreichten, hoben sie gerade ein großes Bündel heraus. Vier Seeleute standen im Wasser und drei an Deck, die den länglichen, auf einem Brett festgebundenen Gegenstand vorsichtig hinuntersenkten. Offenbar war das Bündel ungewöhnlich schwer, denn es kostete die Männer sichtlich Mühe, es auf dem Weg zum Ufer nicht fallen zu lassen.
    »Das sind Händler aus Eire«, vermutete eine der Frauen. »Ich frage mich, was sie uns da wohl gebracht haben?«
    »Sieht mir wie ein Bündel alter Lumpen aus«, bemerkte ein anderer.
    Die Seeleute wateten an Land. Als sie näher kamen, erkannte ich, dass es sich bei dem Brett um eine Art Trage handelte, auf dem ein
    Körper festgebunden war. Sie legten das Bündel aus Lumpen und Knochen vor uns auf den Strand und traten rasch zurück, als wären sie geradezu unglaublich froh, die lästige Arbeit endlich hinter sich gebracht zu haben. Ich glaubte, bei dem Körper müsse es sich um einen armen Seemann handeln, vielleicht ein Mitglied der Besatzung, das auf See gestorben war.
    Doch kaum hatten die Männer die Trage abgesetzt, da begann der vermeintliche Leichnam zu schreien und um sich zu schlagen. »Bindet mich los!«, brüllte er. »Lasst mich aufstehen!«
    Jene am Strand zuckten unwillkürlich zusammen und wichen einen Schritt zurück. Murdo jedoch trat näher und beugte sich über die wogende Masse aus Fleisch und Lumpen. »Torf?«, fragte er und beugte sich noch ein wenig weiter vor. »Bist du das, Torf-Einar?«
    Zum Erstaunen aller, die diesem Ereignis beiwohnten, erwiderte der Fast-Leichnam: »Wer sollte ich wohl sonst sein? Und jetzt bindet mich verdammt noch mal los, und lasst mich aufstehen!«
    »Gott im Himmel!«, rief Murdo. »Ist das wirklich wahr?« Er winkte nach einigen seiner Männer und sagte: »Seht. Mein Bruder ist von den Toten zurückgekehrt. Helft mir, ihn loszubinden.«
    Zusammen mit dem Abt und einigen anderen trat ich vor, und gemeinsam lösten wir die Fesseln meines lange verloren geglaubten

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