Der gefährliche Drache
ich, während ich aus der Küche ging und in den Garten zurückkehrte, und doch besaß er eine ganz eigene Note, die ihn attraktiv machte. Seine Augen waren groß und ausdrucksstark, und sein Lächeln ließ auf einen Hang zum Unfugtreiben schließen, ein Zug, der ihm in meinen Augen etwas Liebenswertes gab.
Er wartete, bis ich beim Tisch war, um mir einen Stuhl anzubieten, ehe er mir gegenüber Platz nahm.
Ich sah ihn neugierig an. »Wie heißen Sie in Wirklichkeit?«, fragte ich. »Ich kann Sie nicht Jinks nennen.«
»Das wäre mir aber lieber. Meine Eltern hatten eine ziemlich alberne Phase, als sie mich tauften.«
»Regenbogen?«, riet ich, indem ich den Blick über sein Batik-T-Shirt und seine zerschlissene Jeans gleiten ließ.
»Sonnenblume? Walgesang?«
»So schlimm ist es auch wieder nicht«, meinte er lachend. »Nein, mein Name ist Rowan.«
»Und was ist an Rowan so schlimm?«
»Mein Nachname ist Grove.« Ich nickte.
»Ach so. Nun, es könnte noch schlimmer sein. Sie hätten Sie …«
»Eiche, Pinie, Strand nennen können«, schlug er vor. »Ja, derlei botanische Namenskombinationen habe ich reichlich zu hören bekommen, vor allem während meiner prägenden Jahre. Kleine Jungen können brutal sein, wenn sich ihnen ein geeignetes Ziel bietet. Ich habe ein paar Narben, die das beweisen. Deshalb ziehe ich Jinks vor. Wenn ich schon einen dummen Namen haben muss, dann möchte ich ihn wenigstens selbst auswählen.«
»Dann also Jinks«, sagte ich.
»Und Sie heißen …?«
»Lori Shepherd. Und kommen Sie mir ja nicht mit einem Schäferwitz – es gibt keinen, den ich noch nicht kenne.«
»Käme nicht im Traum auf die Idee.« Jinks wich in gespieltem Entsetzen vor mir zurück. »Darf ich Sie Lori nennen?«
»Ja, klar. So nennen mich alle. Warum treten Sie nicht unter Ihrem eigentlichen Namen auf? Er ist organisch, ungewöhnlich, poetisch – genau richtig für eine Mittelalter-Kirmes, würde ich meinen.«
»Er mag all das sein«, sagte er zweifelnd, »aber wir dürfen nicht unsere bürgerlichen Namen benutzen. Wir sind dazu angehalten, uns Namen zuzulegen, die zu unseren Rollen passen. Das trägt zum besonderen Kirmesambiente bei, und, um offen zu sein, erleichtert es unsere Arbeit. Im bürgerlichen Leben ist John Smith ein schüchterner, zurückgezogener Programmierer, doch sobald er sein Gewand anzieht und Cyrano de Bergerac heißt« – Jinks hob den Arm und nahm die Pose eines Fechters ein –, »verwandelt er sich in einen verwegenen romantischen Helden.«
»Wie ein Schauspieler auf der Bühne«, sagte ich fasziniert.
»Wie ein Schauspieler ohne Drehbuch«, ergänzte Jinks. »Die meisten von uns improvisieren. Das macht großen Spaß.«
»Das kann ich mir vorstellen. Warum haben Sie sich für die Rolle des Hofnarren entschieden?«
»Ist das nicht offensichtlich?«, fragte er. »Ich habe ein Gesicht, das nur die Mutter eines Hofnarren lieben könnte.« Er schielte und spitzte die Lippen, ehe er lächelnd fortfuhr: »Außerdem war ich in der Schule ein hervorragender Turner. Und ich bin schlagfertig. Ein schmächtiges Kind mit einem dämlichen Namen lernt schnell, sich mit Worten statt mit Fäusten zu verteidigen.«
»Ich finde, Worte sind immer ein besseres Mittel als Fäuste.«
»Sie sind kein zehnjähriger Junge.« Jinks erlaubte seinem Blick, freizügig meine Gestalt in Augenschein zu nehmen, ehe er strahlend sagte: »Außerdem sind Sie keine Engländerin, Ihrem Akzent nach zu urteilen. Woher kommen Sie?«
»Aus den Vereinigten Staaten«, sagte ich. »Ich bin in Chicago geboren und aufgewachsen.«
»Chicago kenne ich gut. Ich habe Calvin bei einem Ren-Fest in der Nähe von Chicago getroffen, in Windy City.«
Ich hob meine Augenbrauen. »Haben Sie auch beim Ren-Fest in Wisconsin gearbeitet?«
Er nickte. »Unter der Woche habe ich in einem Restaurant in Milwaukee gekellnert und am Wochenende auf der Kirmes gearbeitet. Nebenbei habe ich jede Gelegenheit genutzt, um nach Chicago runterzufahren.«
»Aber Sie sind Engländer«, sagte ich. »Wie kamen Sie nach Wisconsin? Sind Sie, wie Calvin, im Internet auf die Ren-Festivals aufmerksam geworden?«
Jinks legte die Stirn in Falten und blinzelte in den Himmel. »Es ist schon so lange her, dass ich mich kaum mehr daran erinnern kann. Ich glaube, dass ich damals an der University of Wisconsin ein Aufbaustudium absolvierte. Eines schönen Sommertags besuchten ein paar Freunde und ich ein Volksfest, über das wir in der Zeitung gelesen hatten.
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