Der gefährliche Drache
Torhausplatz zu bewundern gibt?«
»Torhausplatz?«, plapperte ich verwirrt nach.
»Lori«, sagte Jinks sanft. »Drehen Sie sich um.«
Ich wandte mich vom Torhaus ab und spürte, wie ich erstarrte, als mir eine Welle aus Geräuschen, Farben und Gerüchen entgegenschlug. Es war, als wären alle sensorischen Nervenzellen in meinem Gehirn mit voller Wucht getroffen worden. Ich schwankte beinahe, so stark war die Wirkung.
Das Torhaus blickte auf einen großen Platz, der von überdachten Verkaufsständen aus grob behauenem Holz gesäumt wurde. Sie waren mit farbenfrohen Wimpeln geschmückt, die fröhlich in der Brise flatterten. Eine Gruppe Moriskentänzer hüpfte und stampfte in der Mitte des Platzes, während am Rand ausgelassen Steckenpferde patrouillierten und Stehgeiger schwungvolle Rhythmen fiedelten. Eine Schar Kinder blickte mit aufgerissenen Augen auf einen Zauberer, der augenscheinlich Münzen aus der Luft klaubte, und glucksende Erwachsene machten einen weiten Bogen um einen Jongleur, der mit Wasserballonen bewaffnet war. Kostümierte Verkäufer boten lauthals ihre Waren feil, die von kunstvollen Glasbläserarbeiten bis zu T-Shirts mit Souvenirmotiven reichten, und Weihrauchwolken waberten von den Duftlampen herüber, die den Eingang eines Wahrsagerstands flankierten.
»Wow«, sagte ich kleinlaut.
»Sie scheinen überrascht«, sagte Jinks. »Ist Ihnen aus irgendeinem Grund entgangen, dass Sie den Torhausplatz betreten haben?«
»Ich war in Gedanken woanders«, gab ich zu. »Der Unfall hat mich erschreckt.«
Jinks’ grüne Augen zogen sich gewitzt zusammen. »Und in einem Anflug von staatsbürgerlichem Pflichtbewusstsein dachten Sie, Sie müssten nun das Torhaus inspizieren und überprüfen, ob es sicher ist.«
Ich bestätigte, dass er mit seiner Vermutung nicht ganz falsch lag, indem ich heftig errötete und auf meine in Sandalen steckenden Füße starrte.
Er lächelte. »Es ist absolut sicher, das verspreche ich Ihnen, Lori. Lord Belvedere hätte uns niemals erlaubt, die Tore zu öffnen, wenn er befürchten müsste, dass die Öffentlichkeit in Gefahr ist. Das Teil, das aus der Brüstung gebrochen ist, wurde heute früh in aller Eile zurechtgezimmert, von jemandem, der nicht wusste, was er tat. Sobald Edmond den Schaden behoben hat, wird die Brüstung so stabil sein, dass Cal darauf tanzen kann.«
»Wer ist Edmond?«, fragte ich.
»Edmond Deland, des Königs Mädchen für alles.« Als ich ihn noch immer fragend anschaute, fuhr Jinks fort: »Der mürrische Kerl mit der Schubkarre. Eine Art Hausmeister, wenn Sie so wollen.«
»Oh, der.« Ich warf einen Blick zum Torhaus. »Was hat er für ein Problem?«
»Intrigen hinter den Kulissen«, sagte Jinks und wackelte mit den Augenbrauen. »Keine Angst. Sie werden alles erfahren, sobald wir beide Zeit für eine Unterhaltung haben. Vielleicht komme ich heute Abend auf einen Sprung über den Zaun und weihe Sie in alles ein.« Er berührte mich am Arm. »Tut mir leid, dass Sie sich erschrocken haben.«
»Ich habe überreagiert«, sagte ich kleinlaut. »Jetzt geht es mir wieder gut.«
»Wie könnte es auch anders sein? Sie sind auf der König-Wilfred-Kirmes!« Jinks vollführte eine ausladende Verbeugung. »Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet, Mylady. Ich muss gehen, denn mein König verlangt nach mir. Möge Euer restlicher Tag mit grenzenloser Fröhlichkeit gefüllt sein!« Er blickte mich an und schüttelte seine Schellenkappe, dann trottete er über den Platz. Als er an den Kindern mit den strahlenden Augen vorbeikam, machte er einen Handstand und bewegte sich ein paar Meter auf seinen Händen fort.
Eine Weile sah ich ihm nach, dann senkte ich den Kopf und stöhnte. Ich konnte nicht glauben, dass ich mir nichts, dir nichts wieder in meine alten Gewohnheiten zurückgefallen war. Jeder, der auch nur einen Funken gesunden Menschenverstand hatte, hätte König Wilfreds Beinahe-Unfall zweifelsfrei einer Schlamperei bei den Bauarbeiten zugeschrieben. Doch meine Gedanken waren wie üblich auf Abwege geraten und hatten mich in irrationales Fahrwasser geführt, geradewegs in ein absurdes vermeintliches Mordkomplott. Hätte Jinks nicht dazwischengefunkt, hätte ich den halben Morgen damit zugebracht, durch Gipsstaub zu kriechen, statt die Atmosphäre der Kirmes in mich aufzunehmen. Ich schämte mich gehörig, dass ich meine Fantasie schon wieder hatte Amok laufen lassen.
»Jetzt ist endgültig Schluss«, murmelte ich entschlossen und schob alle Gedanken an
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