Der gefährliche Drache
zu.
»Erhebt Euch, vornehme Leute!«, riefen sie unisono. »Hier kommt unser großartiger und außerordentlich huldreicher Herrscher, Seine Majestät König Wilfred der Gute!«
Siebenundsechzig Kinnladen fielen gleichzeitig nach unten, als König Wilfred der Gute gemessenen Schritts das Schulhaus betrat.
2
KÖNIG WILFRED BLIEB in der Türöffnung stehen, stützte die Hände in die Hüften und strahlte wohlmeinend in die Versammlung. Er war schätzungsweise Ende zwanzig, groß und kräftig, hatte funkelnde blaue Augen, einen Vollbart, und eine Fülle hellbrauner Locken ergoss sich auf seine Schultern. Hätte er T-Shirt und Jeans getragen, hätte ich ihn keines weiteren Blickes gewürdigt, aber sein Aufzug war es wert, ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Während er so dastand, die Hände in die Seiten gestemmt und den Kopf hoch erhoben, fragte ich mich, ob er den Kleiderschrank von Heinrich VIII. geplündert hatte.
Er trug ein ärmelloses, hermelinbesetztes Surkot – ein Überkleid – aus pflaumefarbenem Samt über einem Goldbrokatkittel mit langen Puffärmeln, einem steifen Spitzenkragen und einem aus silbernen Kordeln geflochtenen Gürtel. Seine stämmigen Beine steckten in einer weißen Strumpfhose mit bestickten Strumpfhaltern über den Knien, und seine erstaunlich zierlichen Füße trugen weiche knöchelhohe Wildlederstiefel. Schwere Goldringe schmückten seine dicken Finger, und eine klobige Goldkette mit einem Rubinanhänger hing um seinen Hals. Auf seinen hellbraunen Locken saß eine glänzende Goldkrone, deren hohe Zacken mit Edelsteinen besetzt waren, die zu sehr glänzten, als dass sie echt sein konnten.
Die Trompeter nahmen ihre federgeschmückten Baretts ab und machten eine tiefe Verbeugung, als er eintrat, während sich der Hofnarr zusammenrollte und wie ein Ball zur einen Seite der Bühne kullerte, wo er sich zu Füßen des erschrocken dreinblickenden Mr Wetherhead kauerte. Der einzige Dorfbewohner, der »sich erhoben« hatte, war Sally Pyne, die auf Befehl der Trompeter aufgesprungen war, ehe sie rasch und heftig errötend wieder ihren Platz einnahm. Der Rest von uns blieb mit offenem Mund sitzen, als wären wir zu Stein erstarrt.
»Heil unserem König Wilfred!«, verkündeten die Trompeter im Chor, während sie sich aus ihrer Verbeugung aufrichteten.
»Bitte schweigt, gute Herolde«, erwiderte der König mit einer lässigen Handbewegung. »Offensichtlich hat Unsere Hoheit die braven Untertanen ihrer Sprache beraubt und ihre Gliedmaßen gelähmt. Deshalb werden wir es ihnen nachsehen, wenn sie die übliche Zeremonie nicht ganz befolgen.«
Der Hofnarr richtete sich auf und hielt ein imaginäres Fernrohr ans Auge, das er durch den Saal schwenkte, ehe er es auf Mr Wetherheads noch immer erschrockenes Gesicht richtete.
»Sieht so aus, als ob niemand stehen würde«, verkündete er, »weder auf Zeremonie noch sonst irgendwie.«
Mr Wetherhead zuckte nervös und machte sich so klein wie möglich auf seinem Stuhl.
»Gut gesprochen, Narr«, sagte König Wilfred und kam mit einem fröhlichen Glucksen in Richtung Bühne. »Und närrisch gesprochen, denn ein Narr darf weise sagen, was ein weiser Mann nicht sagen darf, und weise Männer sagen närrisch, was ein Narr nicht …«
» Calvin Malvern! « Der Name explodierte von Peggy Taxmans Lippen, wie aus einer Kanone geschossen. »Bist du das unter all dem Haar?«
Mit einer schwungvollen Bewegung nahm König Wilfred seine Krone ab und schüttelte die Locken aus seinem runden Gesicht zurück. »Ich bin es, Calvin Malvern, zu Ihren Diensten, Tante Peggy.«
»Ich bin nicht deine Tante, du dämlicher Einfaltspinsel«, donnerte Peggy.
»Ich betrachte dich als meine Tante«, sagte Calvin unbeirrt. »Nach den zahlreichen angenehmen Stunden, die ich als kleiner Junge in deinem Laden …«
»Ich habe dich öfter aus dem Geschäft gejagt, als ich zählen konnte, du Lausbub«, unterbrach Peggy ihn.
»Aber du warst immer erfreut, wenn ich wieder zurückkam«, konterte Calvin mit engelsgleichem Lächeln.
»Wie auch immer, jedenfalls bin ich nicht erfreut, dich hier zu sehen. Wie kannst du es wagen, meine Versammlung zu stören?«
»Vergib mir«, sagte Calvin. »Ich hatte den Eindruck, dass du nach einem ›weiteren Anliegen‹ fragtest.«
»Zu den weiteren Anliegen gehört es bestimmt nicht, dass du hier hereinplatzt wie ein aufgeblasener Lackaffe und poetischen Unsinn von dir gibst«, brummte Peggy. »Was würde dein armer Vater sagen, wenn er dich wie
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