Der Geisterfahrer
Mutterleib. Zusammen mit Ihnen hat sich ein zweiter Fötus entwickelt, der mit Ihrem Fötus am späteren Steißbein zusammengewachsen war, aber schon im Uterus abstarb. Sie hätten einen Zwilling haben können, deshalb nennen wir das einen Zwillingsabszess. Der kann sich vierzig Jahre lang stillhalten, wie bei Ihnen, und dann meldet er sich schlagartig.«
»Und warum?«
Der Arzt zuckte mit den Schultern, und dann lachte er. »Für alles, was die Medizin nicht weiß«, sagte er, »hat sie ein hervorragendes Wort: spontan.«
Aber ein Notfall sei er gewesen, das könne er ihm sagen, und zwar ein akuter. Im Übrigen sei der Mann, der ihn eingeliefert habe, sofort verschwunden und habe seinen Hornschlitten hier stehen gelassen. Er sei in der Spitalgarage zum Abholen bereit. Woher er denn gekommen sei in dieser Nacht?
Als ihm Balz den Namen des Dorfes nannte, pfiff der Arzt durch die Zähne.
»Glück gehabt! Eine riskante Fahrt, im Schneesturm, mitten in der Nacht, da wäre keine Ambulanz durchgekommen. Wer war denn der kühne Hornschlittenpilot? Er war Ihr Lebensretter.«
Balz sagte, er kenne ihn auch nicht, aber er werde sich erkundigen, schon um sich zu bedanken.
Sein Freund Georg, so wurde bald klar, hatte den Stummen nie gesehen, und als er später im Dorf nachfragte, wer der Trommler mit dem weißen Mantel und dem Diadem gewesen sei, stieß er auf Erstaunen. Die drei Königsdarsteller sagten einhellig, sie hätten nur zu dritt gesungen, und wenn eine Trommel dabei gewesen wäre, hätten sie die ja hören müssen, und dasselbe sagten auch die Leute im Dorf.
Von einem vierten König wusste niemand etwas.
Ein Nachmittag bei Monsieur Rousseau
K omm herein, Claude, und setz dich an den Tisch, ich putze den Pinsel, dann komm ich gleich … ist Marie-Lise nicht mitgekommen? … Die musste der Mutter beim Waschen helfen … Und Eugène? … Muss in der Schule nachsitzen … Der Ärmste, hat wohl wieder mal was Freches gesagt … Zum Lehrer? Ui, was denn? … Er habe Dotter im Bart? … Ja, da muss man aufpassen, das hören sie nicht gern, die Lehrer, selbst wenn es wahr ist … Doch, das geht schon, schieb die Schachtel mit den Farbtöpfen etwas zur Seite, dann hast du Platz mit deiner Zeichnung …
Das hier? … Eine Schlangenbeschwörerin … Ob es das gibt? Oh ja, der Urwald ist voll von ihnen … In Indien machen das die Männer, im Urwald die Frauen … Die stammen alle von Eva ab, die konnte schon mit den Schlangen sprechen … Nein, die hier spricht nicht, sie spielt nur Flöte, aber wunderbar, hörst du? … Doch, doch, das hab ich mir genau überlegt, ich spiel dir’s mal auf der Geige vor…
( nimmt die Geige von der Kommode und spielt eine Melodie ) Und, was sagst du jetzt? Da können die Schlangen gar nicht anders, als aus ihren Löchern kommen und sich von ihren Bäumen herabwinden … Die Melodie höre man doch gar nicht auf dem Bild? … Oh doch, das garantiere ich dir, wenn dieses Bild fertig ist, dann singt es … So, jetzt
zu dir – wieso die Frau keine Kleider hat? … Na, braucht sie denn das, im Urwald? Da ist eine Hitze, eine feuchte Hitze, sag ich dir, da bleibt dir das Hemd am Leibe kleben … Hab ich selbst erlebt, als ich bei der Armee diente und wir in Mexiko kämpften, das ist eine Weile her, aber wenn ich die Augen schließe, ist alles wieder da … Gut, ein schönes Tuch werd ich der Flötistin vielleicht noch geben … Wieso sie so dunkel ist? … Damit du keine Stielaugen machst, mein Lieber …
Also, dann sind wir heute allein, wir zwei … Zeigst du mir, was du mitgebracht hast? Einen Flammkuchen von deiner Mutter? Ach ja, sie ist Elsässerin, nicht wahr? Sehr lieb, ich lasse ihr herzlich danken, meiner Ernährerin, aber ich meinte – wolltest du nicht eine Katze zeichnen als Hausaufgabe? Zeig doch mal her …
Oh, da haben wir sie ja … Das ist gar nicht schlecht, mein Freund, das ist gar nicht schlecht … Die Katze sitzt vor der Mausefalle, und in der Falle sitzt die gefangene Maus mit einem Stück Käse … Das hast du dir gut ausgedacht, das ist eine kleine Geschichte …
Dein Vater hat dich ausgelacht? … Gut, ich kann mir vorstellen, weshalb: Du hast die Katze mit blauen Streifen gemalt, und er hat gesagt, es gibt keine blauen Katzen – hab ich recht? … Siehst du, und warum hast du die Katze mit blauen Streifen gemalt? … Ach, du wolltest sie rötlich machen und hattest nur noch einen blauen und einen grünen Farbstift?
Weitere Kostenlose Bücher