Der Geisterfahrer
Aha … Und den grünen hast du für die Zimmerpflanze hinter der Katze gebraucht … Ich verstehe … Mein lieber Claude, dein Vater hat natürlich recht: Es gibt keine blauen Katzen. In der Wirklichkeit.
Aber auf dem Bild musst du nur eine blaue Katze malen, und schon gibt es sie. So einfach ist das. Und das Bild hat eben auch recht …
Mit den Hinterpfoten hattest du etwas Mühe, nicht? Hauptsache, man sieht, dass sie sitzt … Eure Katze hat nicht stillgehalten … Das ist das Problem mit den Viechern – meinst du, meine Löwen halten still, wenn ich sie male, wie sie über eine Beute herfallen? Dafür hab ich Bücher, siehst du, hier ist eins über wilde Tiere, »Bêtes Sauvages«, mit 200 Illustrationen, da sind sie alle drin, von der Giraffe bis zum Gürteltier, oder Zeitschriften, die da, da hab ich was Schönes gefunden, wo haben wir denn das, ah hier, schau dir diese Abbildung an, da fällt ein Tiger über einen Büffel her, so etwas möchte ich als Nächstes machen, die Skizze dazu hab ich schon gezeichnet, da, ich hab sie hinten ins Heft gelegt … Merkst du einen Unterschied? … Richtig, im Heft springt der Tiger von rechts, und in meiner Skizze kommt er von links … Für den Büffel macht es keinen Unterschied, ob er von links oder von rechts aufgefressen wird … Ja, der Urwald ist schön, aber erbarmungslos … Wovon soll der Tiger leben? Der bekommt keinen Flammkuchen von einer freundlichen Elsässerin … Oder hier im Buch der Jaguar, der den Eingeborenen anfällt, den mach ich auch irgendeinmal, ist alles schon da, aber das sag ich nur dir …
Und nachher suchen wir dir eine Katze, im großen »Larousse«, da finden wir sicher auch eine Maus – die Maus sei viel zu groß, hat dein Vater gesagt? … Ein bisschen hat er schon recht, deine Maus ist eine halbe Katze … aber weißt du, dein Bild erzählt eigentlich die Geschichte der
Maus und nicht die der Katze … Angst hat sie, das sieht man an den riesigen Augen … Und die Zimmerpflanze habe viel zu große Blätter … und der Vogel, der darauf singe, den gäbe es ja wohl nicht in einer Wohnung … du habest einen Vogel, wenn du solche Sachen zeichnest … tja, dein Vater hat es eben mit der Wirklichkeit, die er kennt … Nur, wenn du malst, Claude, dann erschaffst du deine eigene Wirklichkeit … Deine Zimmerpflanze mit den riesigen Blättern ist wunderschön, sie wächst und lebt, und der kleine Vogel darauf singt und lebt, und derweil ist die Maus darunter zum Tod verurteilt, wie der Büffel im Urwald …
Oft verstehen eben die Leute die Geschichten nicht, die wir auf unsern Bildern erzählen … Weißt du, wie der Titel des ersten Gemäldes heißt, das von mir in der Presse abgebildet wurde, vor zwei Jahren? Die haben nur daruntergeschrieben »Der hungrige Löwe«, aber mein vollständiger Titel heißt »Der hungrige Löwe stürzt sich auf die Antilope und frisst sie auf; der Panther wartet begierig auf den Moment, in dem auch er seinen Teil davon haben kann. Raubvögel haben ein Fleischstück aus dem armen Tier herausgehackt, welches eine Träne vergießt! Die Sonne geht unter.« Voilà. Es schadet nichts, den Leuten zu erzählen, was sie sehen, sonst merken sie vielleicht gar nicht, was es mit den zwei blutigen Streifen auf dem Rücken meiner Antilope auf sich hat …
Du möchtest auch gerne Urwälder malen? Sehr gut, dann fangen wir gleich damit an, Urwälder sind das Schönste, was es gibt auf der Welt, außer der Sonne und den Frauen… die Sonne kennst du ja schon, nicht? –
Warum hustest du denn so? … Geht’s wieder? … Oh, ich sehe gerade, ich habe keine neuen Blätter mehr … Und von Gisbert, dem Papeteristen, bekomm ich keine, bis ich meine Schulden bezahlt habe … Und Foinet, der Farbhändler, will mir keine Farben mehr geben … Ich weiß nicht, wer die Schulden erfunden hat, irgendein gefallener Engel … Aber wenn die Schlangenbeschwörerin fertig ist, kann ich alles bezahlen, das ist ein richtiger Auftrag, die hat die Mutter von Robert, dem Maler, bei mir bestellt, eine vornehme Frau, eine Comtesse, eine wohlhabende Frau, und natürlich eine Frau mit Geschmack …
Aber eigentlich, mein Freund, eigentlich hast du mit dem Urwald schon angefangen auf deiner Zeichnung, nun fahr doch einfach weiter und male dem Baum so viele Blätter, bis das ganze Zimmer voll ist! … Warum nicht? … Dein Vater wird dich wieder auslachen? … Soll ich dir etwas sagen, mein kleiner Künstler? Wenn
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