Der gelbe Handschuh
sich um und blickten sprachlos in das Gesicht eines blonden Jungen, der fröhlich grinste.
„Also herein in die gute Stube“, sagte der uniformierte Fahrstuhlführer und ließ die Wagners zusammen mit dem Schüler Finkbeiner an seinem dicken Bauch vorbei in den Lift. Anschließend machte er die Tür zu, was bei den vielen Menschen gar nicht so einfach war, und dann drückte er auf den Knopf für das sechste Stockwerk.
„Es ist zum Auf-die-Bäume-Klettern“, stöhnte er. „Aber zum Glück gibt es ja so ein Jubiläum nicht jeden Dienstag.“
„Das haben Jubelfeste so an sich“, bemerkte Peter Finkbeiner höflich.
Der Dicke in seiner Uniform riß die Augen auf, und man sah förmlich die Gedankenarbeit hinter seiner Stirn. Aber im Moment fiel ihm einfach keine passende Antwort ein.
Die dreißig oder zweiunddreißig Personen standen in dem Lift so dicht nebeneinander wie Spargel in einer Konservendose.
Auch die Wagners und Peter konnten sich mit den Nasenspitzen beinahe die Hand geben.
Als der Fahrstuhl von der zweiten in die dritte Etage kletterte, flüsterte Vater Wagner: „Mir sind ja in meinem Leben schon eine ganze Menge Frechheiten über den Weg gelaufen, aber du bist drauf und dran, jeden Rekord zu schlagen.“
Der Knabe namens Peter Finkbeiner lächelte und nickte mit dem Kopf, als hätte man ihm gerade zum Geburtstag gratuliert. „Jedenfalls besten Dank dafür, daß Sie mich so schnell adoptiert haben“, flüsterte er dann ebenfalls. Und als der Lift jetzt im vierten Stock vorbeifuhr, fügte er noch hinzu: „Meine Eltern sind mit unserer Einladungskarte bestimmt schon mittendrin.“ Dabei wanderten seine Augen nach oben, als könnte sein Blick durch die Decke im Fahrstuhl hindurchdringen. Anschließend guckte er wieder Herrn Wagner mitten ins Gesicht: „Es ist also alles in bester Ordnung.“
„Nerven wie ein Nilpferd“, bemerkte Ulli. Gleich darauf erreichte der Lift das sechste Stockwerk.
„Endstation“, verkündete der uniformierte Fahrstuhlführer. „Ich bitte die Herrschaften, jetzt auszusteigen.“ Als Peter Finkbeiner an ihm vorbeiging, zog er die linke Augenbraue in die Höhe.
Zufälle gibt’s, die gibt’s gar nicht
Der große Saal in der sechsten Etage war gerammelt voll. Wer an den weißgedeckten Tischen keinen Platz mehr gefunden hatte, saß irgendwo auf Stühlen, die noch in aller Eile herbeigeschleppt wurden, oder auf den Fensterbänken über der Zentralheizung.
Für einen Teil der eingeladenen Gäste gab es schließlich nur noch Stehplätze.
Auf einem mit Tannengrün und Weihnachtskugeln geschmückten Podium spielte eine Musikkapelle, und ein gutes Dutzend Kellner servierte Kaffee und Kuchen.
Die Besucher hatten ihre Wintermäntel und ihre Hüte an der Garderobe gelassen. Man konnte jetzt also sehen, daß sie sich genauso hübsch angezogen hatten wie zu einer silbernen Hochzeit. Die Herren waren fast ausnahmslos in Dunkel erschienen, und die Damen hatten noch kurz zuvor ihre Köpfe beim Friseur vorbeigebracht.
Und das hatte seinen guten Grund.
In den Einladungen und in den Zeitungen war nämlich darauf hingewiesen worden, daß die Veranstaltung vom Fernsehen übertragen würde. Und tatsächlich lagen dicke Gummikabel zwischen den Tischreihen, Scheinwerfer waren aufgebaut, und drei Kameras warteten darauf, daß es losging.
„Nun sieh mal zu, wie du hier deine Eltern findest“, sagte Herr Wagner, als er mit den beiden Jungen den Saal betreten hatte. „Da findest du leichter die berühmte Stecknadel in dem gleichfalls berühmten Heuhaufen.“
Aber der Schüler Peter Finkbeiner mußte sich nur eine knappe Minute umsehen. Dann sagte er schon: „Da drüben sind sie.“
Mutter Finkbeiner hatte es ihrem Sohn nämlich leichtgemacht. Sie hatte sich ihr Kleid mit den großen gelben Sonnenblumen angezogen, und die waren einfach nicht zu übersehen. Neben ihr saß ein Herr in einem dunkelgrauen Anzug mit Nadelstreifen. Und zwischen den beiden stand ein leerer Stuhl.
„Du hast also nicht geschwindelt“, bemerkte Herr Wagner. „Das versetzt meiner Menschenkenntnis einen Tiefschlag.“
„Tut mir leid“, antwortete Peter. „Und noch einmal besten Dank.“ Er gab den beiden Wagners die Hand und segelte dann zu dem Sonnenblumenkleid hinüber. Frau Finkbeiner hatte es zum ersten Mal im Frühjahr beim Apothekerball getragen.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren“, tönte jetzt eine Stimme aus dem Lautsprecher. Gleich darauf war es im ganzen Saal so still wie
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