Der gelbe Handschuh
Hotelgast vor sich. „Ich habe inzwischen schon ein wenig von uns erzählt.“
„Und dabei hat es sich herausgestellt, daß wir beinahe Nachbarn sind“, sagte Herr Finkbeiner und lachte. „Ich habe eine Apotheke direkt am Kurfürstendamm kurz vor der Joachimstaler Straße, also dem Kempinski fast gegenüber.“
„Also, Zufälle gibt’s...“ bemerkte Herr Wagner jetzt schon zum zweiten Mal.
„...die gibt’s gar nicht“, ergänzte sein Sohn Ulli und grinste.
„Und was hat Ihre Frau gesagt?“ fragte Frau Finkbeiner in ihrem Sonnenblumenkleid.
„Sie werden sich wundern! Natürlich hatte sie die Fernsehübertragung eingeschaltet und wollte sehen, wie ihre beiden Männer aussehen, wenn sie über die Mattscheibe flimmern. Aber wir haben ihr nicht gefallen. Wir hätten nicht ein einziges Mal gelächelt und immer nur an die Decke oder auf den Boden geguckt.“
„Stimmt“, gab Ulli zu.
„Und die Karibischen Inseln“, setzte Herr Wagner seinen Bericht fort, „könnte ich mir an den Hut stecken.“
„Das wird ziemliche Umstände machen“, bemerkte Herr Finkbeiner.
„Und warum?“
„Weil sich ihr Magen schon wie ein Handschuh umdreht, wenn sie nur die Havel sieht oder den Grunewaldsee“, erklärte Herr Wagner. „Also auf ein Schiff bringen sie keine sechs Pferde.“
„Schade“, meinte Frau Finkbeiner. „Die schöne Reise…“
„Die Reise fallt deswegen nicht ins Wasser“, widersprach Herr Wagner. „Das hat sich meine Frau schon ganz genau überlegt.“
„Darf man erfahren, was sie überlegt hat?“ fragte Ulli. „Sie schlägt vor, daß ich meinen Herrn Sohn mitnehme und daß sie zu Hause bleibt“, erklärte Herr Wagner. „Das sei ganz fabelhaft, dann könne sie in aller Ruhe ihr Gipsbein auskurieren.“
„Das kann ich doch gar nicht annehmen!“ widersprach Ulli.
„Und dann sagt sie noch“, fuhr Herr Wagner fort, „irgendwo hätte sie einmal gelesen, daß Reisen bildet. Und Bildung sei genau das, was du brauchen könntest.“
„Damit ist für Sie das Problem erledigt.“ Frau Finkbeiner lachte. „Ich meine die Sache mit den zwei Personen. Aber wie ist das bei uns?“ fragte sie jetzt ihren Mann.
„Da du ja für Seekrankheit nicht anfällig bist“, antwortete der Apotheker und zündete sich dabei eine Zigarre an, „fahren wir eben alle drei. Die Reise kann für Peter nicht die Welt kosten, und vielleicht kommt uns das Warenhaus mit dem Preis sogar ein wenig entgegen!“
„Und die Apotheke?“ wollte Frau Finkbeiner wissen. „Drei Wochen sind kein Besenstiel.“
„Wenn ich mir mal über Nacht einen Nierenstein anlache, müssen sie auch ohne mich auskommen“, stellte Herr Finkbeiner fest und paffte eine kleine weiße Rauchwolke vor sich hin.
„Besten Dank, Papa“, sagte Peter an der kleinen Rauchwolke vorbei.
„Ach, Otto“, Frau Finkbeiner lächelte und strich mit der flachen Hand eine Falte aus ihrem Sonnenblumenkleid, „eigentlich wollten wir erst zu unserem fünfzigsten Geburtstag eine große Reise machen.“
„Wer weiß, ob wir dann noch Purzelbäume schlagen“, meinte Herr Finkbeiner. „Man soll nichts aufschieben im Leben!“
Und da in diesem Augenblick der Kellner die bestellten Biere und Limonaden servierte, konnten die Finkbeiners und die Wagners jetzt ihre Gläser erheben.
„Na, dann Prost“, sagte der Apotheker. „Auf die Karibischen Inseln!“
„Auf die Karibischen Inseln“, wiederholten alle, die am Tisch saßen.
Ein Seehund löst Kreuzworträtsel
Schon für den nächsten Samstag bekam die Familie Finkbeiner von den Wagners eine Einladung zum Abendessen in die Knesebeckstraße 51.
„Sie müssen bitte mein Gipsbein entschuldigen“, sagte Frau Wagner, als sie ihren Gästen die Wohnungstür öffnete, „aber ich hoffe, meine Kohlrouladen haben darunter nicht gelitten!“
„Ganz ausgezeichnet“, lobte Herr Finkbeiner eine halbe Stunde später, und Herr Wagner fügte ein wenig stolz hinzu: „Ja, die Kohlrouladen meiner Frau sind einfach nicht zu schlagen.“
Eine Woche darauf revanchierte sich die Apothekerfamilie mit einer Einladung in die Niebuhrstraße 78. Frau Finkbeiner hatte Kalbsnierenbraten und Rosenkohl gekocht.
„Ganz fabelhaft“, behauptete dieses Mal Herr Wagner, und Herr Finkbeiner ergänzte daraufhin seinerseits ein wenig stolz: „Ja, das ist die Spezialität meiner Frau. Ihr Kalbsnierenbraten ist einsame Spitze.“
Aber das Essen war bei diesen Besuchen nur so eine Art höfliche Nebensache. In Wirklichkeit
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