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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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«Frau Merbold … haben Sie verstanden, was mein Kollege Ihnen mitgeteilt hat?»
    Kristin sah auf die fremde Hand hinab, die sie berührte.
    «Sie irren sich.» Worte wie aus Watte geformt, weich und ohne Nachdruck. Ein kümmerliches Aufbegehren gegen das Begreifen.
    «Frau Merbold, es tut uns leid … wirklich leid. Ihr Mann ist in der SA -WestBank in einen Überfall geraten und getötet worden. Er wurde erschossen.»
    Kristins Augen füllten sich nicht mit Tränen, und es tat sich auch keine bodenlose Leere auf, sie zu verschlingen. Sie fiel nicht in tiefe Bewusstlosigkeit und wurde auch nicht von Krämpfen geschüttelt. Sie saß einfach nur da und starrte die Frau an.
    «Aber ich hab doch Omelett gemacht.»

2
    Robert Stolz kauerte in schwarzer Kleidung in der überdachten Eingangsnische eines kleines Lottogeschäftes, das laut des verblichenen Schildes über der Tür Eduard Pawzella gehörte. Dort war er vor dem orangen Licht der Bogenlampen geschützt und verschmolz geradezu mit der Dunkelheit. Feiner kalter Nieselregen zog einen geisterhaften Vorhang durch das Streulicht der Lampen.
    Er warf einen Blick auf seine Timex am Handgelenk: zweiundzwanzig Uhr vorbei. Trotz des starken Kaffees, den er vorhin getrunken hatte, machte sich die Müdigkeit bemerkbar. Außerdem knurrte sein Magen. Er holte ein Snickers aus der Innentasche seiner Lederjacke, riss es auf und biss hinein. Von seiner Körperwärme aufgeweicht schmeckte es süßer als sonst.
    Er kaute und fror. Der kühle Wind ging durch bis auf die Knochen. Im Wagen zu warten wäre bequemer gewesen, doch dann hätte er in der Nähe des Red Fox parken müssen. Das war zu auffällig. Ein Auto ließ sich schlecht verstecken, und diese Leute waren auf der Hut. Sie würden sich an einen Wagen erinnern, in dem jemand länger als gewöhnlich am Straßenrand gewartet hatte.
    Die Fassade des gegenüberliegenden Gebäudes weckte Erinnerungen. Mit fünfzehn, als er zu begreifen begonnen hatte, womit sein Vater Geld verdiente, hatte er ihn beobachtet und oft in den Red Fox gehen sehen. Robert hatte den schäbigen Laden längst vergessen, und dabei wäre es auch geblieben, wäre ihm Kalle vor drei Monaten nicht über den Weg gelaufen. Karl-Heinz Stolz, Kalle für seine Kumpel, hatte ihn nicht gesehen, und wie damals, vor achtzehn Jahren, war er durch die Tür dort drüben verschwunden. Also gab er noch immer Geld für Stoff und Huren aus, das seiner Frau für Lebensmittel und Kleidung fehlte.
    Als Robert dem Verlangen nach einer Zigarette kaum noch standhalten konnte und sich seine mit Kaffee gefüllte Blase bemerkbar machte, rollte ein schwarzer Sportwagen von der Hofeinfahrt des Red Fox auf die Straße. Im Licht der Bogenlampen konnte Robert für einen kurzen Moment Brian Cox am Steuer und seinen bulligen Leibwächter daneben erkennen.
    Er sah dem auffälligen Wagen nach, bis er an der nächsten Ecke verschwand, dann löste er sich aus dem Schatten der Nische. Die Hände tief in den Taschen seiner schwarzen Lederjacke, den Rücken gebeugt, die Schultern nach vorn gezogen schlenderte er langsam zu seinem Wagen. Beeilen brauchte er sich nicht. Er wusste, wohin Cox fuhr.
    Nachdem er eingestiegen war, zündete er sich eine West an, nahm einen tiefen Zug und warf einen Blick in den Innenspiegel. Seine Augen waren rot gerändert, dunkle Schatten lagen darunter. In den letzten Nächten hatte er schlecht geschlafen. Obwohl es nicht der erste Job dieser Art war, machte ihm die Aufregung zu schaffen. Wahrscheinlich lag es an dem familiären Zusammenhang. Die Sache wurde dadurch riskant. Jemand könnte eine Verbindung herstellen. Er sah seinem Vater ähnlich: die gleichen braunen Augen und Haare, das gleiche kantige Gesicht, die große Statur mit den breiten Schultern.
    Robert wandte den Blick ab, startete den Motor und fuhr los.
    Fünfzehn Minuten später parkte er den BMW zwei Straßen von dem Haus entfernt, das Cox und sein Leibwächter gerade betraten. Als er es nach einem kurzen Fußmarsch erreichte, war niemand zu sehen. Der Wagen des Iren stand in der Auffahrt des Grundstücks. Wie immer, wenn einer dieser Geschäftsmänner einen Kunden erwartete, war das Haus hell erleuchtet, die Hunde weggesperrt und die Zufahrt offen. Sie waren sich ihrer Sache sicher.
    Als wäre er offiziell eingeladen, betrat Robert mit langen Schritten das Grundstück über die Zufahrt, achtete aber darauf, nicht in das Sichtfeld der Videokameras zu geraten. Er wusste genau, wo sie angebracht waren.

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