Der Gesang des Satyrn
Neairas Mund. Trotzig biss sie sich auf die Lippen und zwang sich daran zu denken, dass ihre Mutter sie bald aus diesem Tartaros befreien würde. Idras schüttelte angesichts solcher Sturheit nur den Kopf und bedachte Neaira mit noch mehr Schlägen. „Dummes Kind“, sagte sie nur, als Neaira sich das Hinterteil rieb, und nahm Stratola und Anteia mit, als sie ging. Neaira war froh darüber, dass die beiden fort waren. Nun gab es endlich genügend Platz auf dem Polster.
Am späten Vormittag kam Idras zurück und brachte ihnen Schalen mit noch dampfendem im Ofen gebackenen Getreidebrei mit Früchten, den sie hungrig hinunterschlangen. Jede von ihnen bekam auch einen Becher mit Ziegenmilch. Obwohl Neaira so ausgehungert war, dass sie glaubte, nie etwas Besseres gegessen zu haben, kamen ihr die süßen Datteln in den Sinn, die ihre Mutter ihr auf der Agora versprochen hatte. Wo blieb sie nur? Ihr Herz schlug schneller, da sie hoffte dass ihre Mutter in diesem Augenblick an die rote Tür klopfte, um sie aus diesem bösen Traum zu befreien. Bald würde sie das alles vergessen können. Sie warf einen verstohlenen Blick auf Metaneira, die ruhig ihren Getreidebrei aß, da es ihr leidtat sie hier zurücklassen zu müssen. Vielleicht konnte sie ihre Mutter ja bitten, auch Metaneira mitzunehmen? Doch ihre Mutter kam nicht. Stattdessen kam am Nachmittag erneut Idras. Sie trieb sie wie eine Herde erschöpfter und zerlumpter Ziegen in einen abgelegenen Hof, wo sie ihre Notdurft verrichten sollten. Neaira zupfte Metaneira am Ärmel ihres Chitons. „Ich kann hier nicht pinkeln.“
Metaneira bat sie mit flehendem Blick es zu versuchen, und Neaira stellte fest, dass sie es doch konnte. Ihre Blase drückte als hätte sie eine ganze Viehtränke verschluckt.
Während Neaira sich in den heißen Sand hockte, um ihre drückende Blase zu entleeren, starrte sie hinauf zur Sonne und beobachtete ein paar Vögel, die über sie hinwegflogen.
Noch nie hatte sie sich darüber Gedanken gemacht, wie es wäre Flügel zu haben. Jetzt wünschte sie sich nichts mehr als das.
Kurz darauf trieb die Schwarze sie weiter in ein Badehaus. „Zieht das dreckige Zeug aus, ihr stinkt wie Ziegen!“
Obwohl Neairas blauer Chiton mittlerweile nicht besser roch als die der anderen Mädchen, musste Idras ihr noch ein paar Stockschläge verpassen, bis sie ihn hergab. „Den hat meine Mutter mir geschenkt.“
Idras kümmerte es wenig. Der blaue Chiton wanderte mit den anderen in einen Korb, den Idras einer jungen Sklavin in die Hand drückte, die ihn mit gerümpfter Nase forttrug.
Kurze Zeit später kamen noch mehr Sklaven und brachten Kessel mit Wasser, ein paar Lappen und ein billiges Öl. Wieder schämte sich Neaira, da sie nackt vor den Knaben stand, die sie mit Wasser übergossen.
Immerhin würde sie sich sauber fühlen und nicht mehr so stinken, wenn ihre Mutter sie holen kam. Metaneira half zuerst Neaira beim Waschen der Haare, dann bemühte sich Neaira nach Leibeskräften, die mittlerweile verfilzten Haarsträhnen ihrer neuen Freundin zu entwirren. Bald roch es im Badehaus nicht mehr nach Urin und Schweiß, sondern nach frisch gewaschenen Leibern und Blüten.
Idras brachte ihnen neue grobe Chitone, die sie anziehen mussten. Sie kratzten auf der Haut, waren aber sauber. Mit kritischem Blick betrachtete Idras ihr Werk, als sie in einer Reihe nebeneinanderstanden wie Priesterinnen vor der Weihe. Was sie sah, schien sie wenig zu überzeugen.
„Immerhin stinkt ihr nun nicht mehr so erbärmlich.“
Neaira hatte gewartet und gehofft bis zum Abend. Erst als die Sonne sich rot färbte, wurde ihr klar, dass ihre Mutter nicht zurückkommen würde. Vielleicht war sie da gewesen, aber Nikarete hatte sie fortgeschickt, kam es Neaira in den Sinn. Immerhin hatte Idras hatte nicht mehr in den engen Raum zurückgetrieben. Doch der neuer Raum war auch nicht viel besser, außer dass er nicht so erbärmlich stank.
Auch hier gab es keine Fenster, nur das funzelnde Licht einer Talglampe. Immerhin war sie allein mit Metaneira eingeschlossen worden. Wo die anderen Mädchen waren, wusste sie nicht. Neaira war zu jung als etwas anderes als Traurigkeit und Trotz über den Verlust ihrer Mutter zu empfinden. Sie saß auf Metaneiras Schoß als Idras kam und ihnen wortlos Körbe mit Wolle und Spindeln brachte. Die Wolle war ebenso kratzig wie ihr neuer Chiton, doch Metaneira begann wie selbstverständlich mit der Arbeit, obwohl sie im Dämmerlicht kaum die Hand vor Augen
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