Der Herr der Unruhe
Zumindest bin ich mir ziemlich sicher. Sein Anschluss war nicht außer Gefecht gesetzt.«
»Es sollen heute früh auch andere Sonntagskinder Telefon-
nummern gewählt und tatsächlich den gewünschten Teilnehmer erreicht haben.«
»Ja, aber du hättest den Leiter der Vermittlungszentrale sehen sollen, als ich ihm androhte, dem Podestà von meinem Verdacht zu erzählen. In seinem Gesicht stand ein riesiges Das-weiß-Don-Massimiliano-doch-längst. Du kannst mir glauben, Signor Bulbo ist leichter durchschaubar als eine Eieruhr.«
»Sehr witzig. Und was hast du herausgefunden?«
»Es werden systematisch Telefongespräche abgehört.«
»Das ist ein offenes Geheimnis.«
»Es ist ein Unterschied, ob ich der Geheimpolizei unterstelle, Telefonate ihrer Verdächtigen abzuhören, oder ob ich Beweise dafür finde, dass dergleichen hier in Nettuno geschieht.«
»Beweise?«
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»Na ja, ich kann natürlich nicht sagen, ob es die OVRA war, die sich in die Verbindungen eingeklinkt hat.«
»Toller Hinweis!«
»Es könnte auch Manzini gewesen sein.«
»Oder die krankhafte Neugier von Signor Bulbo.«
»Ich bin überzeugt, er weiß von den Vorgängen, aber er ist nur ein Bauer in diesem Spiel, nicht der König.«
»Wieso sollte der Podestà eine Vermittlungsanlage mit Lack außer Funktion setzen, die er kurz vorher zum Abhören missbraucht hat? Das wäre ungefähr so, als würde sich ein Bankräuber rote Stempelkissen auf die Schuhsohlen nageln?«
»Stimmt allerdings.«
»Wer immer hinter der Spitzelei steckt, dürfte kaum mit einem wie dir rechnen, Nico. Er nimmt wohl an, seine Spuren immer gründlich zu verwischen.«
»Angenommen der Geheimdienst belauscht die Leute in der
Stadt und Manzini weiß davon …«
»Würde mich nicht wundern, wenn er die Informationen aus
den abgehörten Gesprächen sogar irgendwie für seine krummen Dinger einsetzt.«
»Wie auch immer. Jedenfalls dürfte Don Massimiliano kaum
die gesamte OVRA kontrollieren. Er kann nicht ausschließen, selbst irgendwann belauscht zu werden; es sei denn, er lässt die komplette Vermittlungszentrale lahmlegen.«
»Damit die bösen Spitzel sich aus dem Staub machen, bevor die ehrlichen Fernmeldetechniker eintreffen? Eine ziemlich kühne Theorie, amico mio .«
»Nicht, wenn Manzini sehr verzweifelt ist.« Nico konnte sich noch sehr gut an den drängenden Ton des Podestà erinnern. Die Sache duldet keinen Aufschub. Was hatte er wohl mit Amore besprechen wollen?
»Mag sein«, erwiderte Bruno ohne rechte Überzeugung. »Im-
merhin scheinst du es ehrlich zu meinen. Danke für die Warnung.«
Nico hielt eine Weile dem forschenden Blick aus Brunos dunk-135
len Augen stand, dann reichte er ihm die Hand. »Sind wir wieder Freunde?«
Bruno schlug ein. »Na klar. Waren wir doch immer. Hab mich nur aufgeregt, weil du dich von diesem Speichellecker hast ein-wickeln lassen.«
»Das gehört zu meinem Plan.«
»Ja, wie du dich am besten an Laura ranmachen kannst.«
Das Eis unter Nicos Füßen war plötzlich sehr dünn geworden.
Rasch lenkte er das Gespräch auf sichereres Terrain. »Wenn deine Freunde bei der Giustizia e Libertà tatsächlich so weit gestreut sind und an so prominenten Positionen sitzen, wie du immer behauptest, dann könntest du vielleicht etwas für mich herausfinden.«
»Sofern es der Gerechtigkeit und Freiheit dient – kommt na-türlich drauf an, was du wissen willst.«
Nico erzählte seinem Freund von dem belauschten Telefonat Manzinis mit der deutschen Botschaft in Rom.
Bruno pfiff leise durch die Zähne. »Klingt ziemlich verschwö-
rerisch. Wenigstens scheint mir dein Verdacht jetzt gar nicht mehr so abwegig. Manzini könnte tatsächlich die Vermittlungszentrale lahm gelegt haben, um sich ein paar unbelauschte Minuten zu verschaffen.«
»Ob Don Massimiliano ein deutscher Spion ist?«
»Ich traue ihm alles zu, sofern es irgendwie seine Gier be-friedigt. Allerdings könnte er auch auf Geheiß der Regierung handeln.«
»Wie meinst du das?«
»Ich rede von Geheimdiplomatie. Unser feiner Duce steuert einen schwer einzuschätzenden Schlingerkurs. Als er ’34 für den Abessinienkrieg Rohstoffe brauchte, machte er sich bei Hitler lieb Kind, indem er ihn ins schöne Venedig einlud. Ein Jahr später bildete er plötzlich mit den Franzosen und Briten gegen Deutschland die Stresafront. Aber die Verletzungen des Versailler Vertrages, die sich aus der Wiederbewaffnung des Dritten Reiches ergaben, duldete er trotzdem. Ja, mehr als das:
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