Der Hexer - NR49 - Hochzeit mit dem Tod
wenig, gerade so weit, daß ich meine Umgebung wieder schemenhaft erkennen konnte.
Priscylla kümmerte sich nicht weiter um mich. Sie hatte sich wieder umgedreht, so daß ich ihr entstelltes Gesicht nicht sehen konnte. Ihre Hände lagen noch immer auf den Zahlenschlössern. Ich sah, wie ein fast unmerklicher Ruck durch ihren Körper ging. Sie ließ ihre Hände herabsinken, riß sie dann in einer blitzartigen Bewegung wieder hoch –
und stieß sie durch die Tür des Safes!
Der gehärtete, handbreite Stahl wurde geradezu auseinandergefetzt, als handele es sich um Papier. Ein unnatürliches, grünliches Leuchten drang aus dem Spalt. Ohne sichtliche Anstrengung riß Priscylla die ganze Vorderfront ab. Kreischend gab das Metall nach. Blut lief in breiten, dunklen Strömen an Priscyllas nackten Armen herab. Mörtel rieselte aus den Fugen, und ein Teil des Putzes und der Tapete bröckelten ab, als der gesamte eingemauerte Safe mit unvorstellbarer Wucht ein Stück weit aus der Wand gerissen wurde. Das grünliche Leuchten verstärkte sich noch.
Ich versuchte auf die Beine zu kommen und ließ mich stöhnend zurücksinken, als erneut ein glühender Dolch mein Rückgrat zu spalten schien.
Aber diesmal durfte ich nicht aufgeben. Diesmal würde niemand kommen, der das Siegel im letzten Moment zerstörte. Diesmal würde es brechen, sobald Priscylla es zusammengefügt hatte, und unbeschreibliches Leid auf die Welt loslassen. Ich mußte WACH-BLEI-BEN!
Priscylla griff in den Safe und zog ein bizarr geformtes Gebilde heraus, das wie ein unmenschliches Herz zu pulsieren schien und in seinem Inneren das kalte, grünliche Leuchten gebar. Es war jetzt so stark, daß es sogar durch ihre Hände drang. Selbst das Blut, das an ihren Armen herablief, schimmerte grün. Und das gleiche, unheimliche grüne Licht erfüllte ihren Schädel, dessen Inneres ich durch die leeren Augenhöhlen überdeutlich sehen konnte.
Der Traum wiederholte sich, wurde gräßliche Realität: Die fünf SIEGEL hatten sich trotz ihrer völlig unterschiedlichen Formen auf unmöglich anmutende Art zu einem Ganzen zusammengefügt; einem fremdartigen Ding mit Linien und Formen, die es gar nicht geben durfte. Winkel, die auf sinnverwirrende Art in sich verkrümmt waren, hatten sich gebildet und die Verschmelzung der SIEGEL möglich gemacht.
Der Anblick ließ mich aufstöhnen. Ich spürte, wie sich allein durch den Anblick dieses menschlicher Vorstellungskraft Hohn sprechenden Gebildes etwas Düsteres wie ein schleichendes Gift in meine Seele stahl. Der Hauch des Bösen kroch auf dürren Spinnenbeinen durch meine Gedanken. Ich wollte den Kopf abwenden, konnte mich aber nicht von dem Anblick losreißen.
Für Sekunden hielt Priscylla das unmögliche Gebilde regungslos in beiden Händen, dann ließ sie es sinken – unendlich langsam und mit fast andächtiger Behutsamkeit – und bettete es auf den uralten, gegerbten Lederrücken des Buches.
Auf das NECRONOMICON. Auf das sechste SIEGEL!
Die Erkenntnis traf mich wie ein körperlicher Schlag. Natürlich – das NECRONOMICON! Warum wohl hatte Necron alles daran gesetzt, es in seine Gewalt zu bringen, wie die anderen SIEGEL auch? Wie hatte ich nur so blind sein können?
Aber das NECRONOMICON ist vernichtet! flüsterte eine verschwindend leise Stimme in meinen Gedanken. In den Trümmern der Drachenburg verbrannt und zu Asche zerfallen!
Und trotzdem kannte ich die Antwort längst. Ich wußte sie schon, als ich das Buch unter Priscyllas Arm gesehen hatte.
Die Antwort auf ihren Wahnsinn.
Die Antwort auf all meine schrecklichen Alpträume.
Die Antwort auf... mein Schicksal.
Priscylla war das Buch. Und das Buch war in ihr. Schon seit über einem Jahr, seit ich sie aus Necrons Gewalt befreit hatte, und wahrscheinlich schon lange vorher.
Sie hatte gewartet, das war alles. Gewartet, bis ich hirnloser Idiot die anderen SIEGEL aus allen Ländern und Epochen der Erde zusammengeklaubt hatte. Bis sie – nein, bis das NECRONOMICON sich endlich manifestieren und die Kontrolle über die SIEGEL übernehmen konnte.
Aber noch waren es nur sechs der SIEBEN SIEGEL DER MACHT. Der Kerker der GROSSEN ALTEN konnte noch nicht brechen! Wie ein Ertrinkender klammerte ich mich verzweifelt an diesem einen Gedanken fest, obwohl all meine Sinne mir sagten, daß es geschah. Jetzt, in diesem Moment!
Unter Priscyllas Händen begannen die SIEGEL zu verschmelzen. Es war keine Veränderung, die ich bewußt wahrgenommen hätte, doch ich spürte sie wie
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