Der Hund von Baskerville
Arbeitswochen im Gericht mit anderen Fällen ihm das alles wieder aus dem Kopf getrieben haben. So verdrängt jeder neue Fall den früheren, und Mademoiselle Carere hat meine Erinnerung an Schloß Baskerville ausgelöscht. Morgen kann schon wieder ein neues Problem meine Aufmerksamkeit erregen, und damit werden dann die edle französische Dame und der böse Upwood abgelegt. Was nun den Fall mit dem Hund betrifft, so will ich gern versuchen, den Lauf der Ereignisse nachzuzeichnen, so gut ich kann. Und Sie werden mich darauf aufmerksam machen, wenn ich etwas vergessen haben sollte. Meine Untersuchung hat einwandfrei ergeben, daß das Familienporträt nicht gelogen hat und der Bursche wirklich ein Baskerville war. Er war der Sohn von Rodger Baskerville, dem jüngeren Bruder von Sir Charles, der wegen seines schlechten Rufes hier nicht mehr bleiben konnte. Er floh nach Südamerika, wo er angeblich unverheiratet starb. Tatsache jedoch ist, daß er verheiratet war und ein Kind hatte, diesen Burschen, dessen wirklicher Name derselbe wie der seines Vaters ist. Er heiratete Beryl Garcia, eines der schönsten Mädchen von Costa Rica. Nachdem er eine erhebliche Summe öffentlicher Gelder veruntreut hatte, änderte er seinen Namen in Vandeleur und floh nach England. In Ost-Yorkshire gründete er eine Schule. Er versuchte sich in diesem Beruf, weil er auf der Reise in die Heimat einen lungenkranken Lehrer kennengelernt hatte, dessen Tüchtigkeit er dazu benutzte, seinen eigenen Erfolg auf diesem Gebiet zu etablieren. Fräser, der Lehrer, starb jedoch, und mit der Schule, die so erfolgreich begonnen hatte, ging es schnell bergab. Sie verlor ihren Ruf und war bald ein öffentlicher Skandal. Die Vandeleurs fanden es angebracht, ihren Namen in Stapleton zu ändern und zu verschwinden. Er ging mit dem Rest seines Vermögens, seinen Zukunftsplänen und seiner Leidenschaft für Entomologie in den Süden Englands. Ich habe vom Britischen Museum erfahren, daß er eine anerkannte Autorität auf diesem Gebiet war und der Name Vandeleur für immer mit einem bestimmten Nachtfalter verbunden ist, den er in seinen Yorkshiretagen als erster beschrieben hat. Wir kommen nun zu dem Teil seines Lebens, der für uns von besonderem Interesse ist. Der Bursche hatte sich offensichtlich genau erkundigt und erfahren, daß nur zwei Menschenleben zwischen ihm und einem wertvollen Landbesitz standen. Als er nach Devonshire kam, waren seine Pläne, glaube ich, noch ziemlich vage, aber daß er vom ersten Augenblick an Ungutes im Sinn hatte, geht daraus hervor, daß er seine Frau dort als seine Schwester einführte. Die Idee, sie als Köder zu benutzen, war sicher von Anfang an da, wenn er auch noch nicht genau wußte, wie die Einzelheiten seines Plans aussehen sollten. Sein Ziel war, den Grundbesitz zu bekommen. Um dieses Ziel zu erreichen, war ihm jedes Mittel recht, und er war gewillt, jedes Risiko einzugehen. Sein erster Schritt war, sich so nahe wie möglich beim Heim seiner Vorfahren niederzulassen, und sein zweiter, die Freundschaft mit Sir Charles Baskerville zu suchen und sich auch mit den anderen Nachbarn anzufreunden.
Der Baronet hatte ihm selbst die Familiensage von dem Höllenhund erzählt und sich damit sein eigenes Grab gegraben. Stapleton, wie ich den Mann weiterhin nennen will, wußte, daß das Herz des alten Mannes schwach war und daß ein Schreck ihn leicht töten konnte. Das hatte er von Dr. Mortimer gehört. Er hatte ebenfalls gehört, daß Sir Charles abergläubisch war und die grausige Familiensage sehr ernst nahm. In seinem genialen Hirn entstand sofort ein Plan, wie Sir Charles umzubringen sei, ohne daß man dem wahren Mörder die Schuld nachweisen konnte.
Nachdem er diese Idee ausgebrütet hatte, ging er mit außerordentlicher Raffinesse an die Ausführung. Ein normaler Bösewicht hätte sich mit einem blutrünstigen Hund zufriedengegeben. Aber daß er dem Hund mit künstlichen Mitteln ein höllisches Aussehen gab, war ein Geistesblitz von ihm — einfach genial. Den Hund kaufte er bei Ross und Mangles in London, einer Tierhandlung in der Fulham Road. Es war der größte und blutrünstigste, der überhaupt zu haben war. Um ihn ohne großes Aufsehen heimzubringen, führte er ihn von einer entfernten Bahnstation der Nord-Devon-Linie zu Fuß über das Moor hierher. Auf seiner Jagd nach Insekten hatte er längst herausgefunden, wie er den Grimpener Sumpf durchqueren konnte, und hatte auf diese Weise auch ein Versteck für den Hund
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