Der Idiot
daß dein Gewissen dir nicht mehr soviel Vorwürfe macht, dann komm zu mir; dann wollen wir uns zusammensetzen und von alten Zeiten plaudern. Ich bin ja vielleicht noch fünfzigmal sündhafter als du. Aber jetzt lebe wohl, geh, du hast hier nichts zu schaffen!« fügte sie hinzu, in Angst, daß er wieder umkehren könnte.
»Sie täten gut, wenn Sie ihm vorläufig nicht nachgingen«, sagte der Fürst, um Kolja aufzuhalten, der seinem Vater schnell folgen wollte. »Sonst wird er nach einer Minute ärgerlich werden, und der ganze segensreiche Augenblick ist dann verdorben.«
»Das ist richtig; laß ihn jetzt in Ruhe, geh erst in einer halben Stunde hin!« sagte Lisaweta Prokofjewna befehlend.
»Da sieht man, was es zu bedeuten hat, wenn man wenigstens einmal im Leben die Wahrheit sagt. Zum Weinen hat es ihn gebracht!« wagte Lebedjew hinterdrein zu bemerken.
»Na, und du mußt auch ein netter Patron sein, Väterchen, wenn das wahr ist, was ich über dich gehört habe«, trumpfte ihn Lisaweta Prokofjewna sogleich ab.
Das wechselseitige Verhältnis aller bei dem Fürsten versammelten Besucher klärte sich allmählich. Der Fürst wußte die ihm von der Generalin und ihren Töchtern bewiesene Teilnahme selbstverständlich in ihrem ganzen Wert zu würdigen und sagte ihnen aufrichtig, er habe gerade heute, noch vor ihrem Besuch, die bestimmte Absicht gehabt, zu ihnen zu kommen, trotz seiner Krankheit und trotz der späten Stunde. Lisaweta Prokofjewna erwiderte ihm mit einem Blick auf seine Gäste, das könne er auch jetzt noch sogleich zur Ausführung bringen. Ptizyn, ein höflicher und sehr friedfertiger Mensch, stand sehr bald darauf auf und zog sich nach dem Nebengebäude in Lebedjews Wohnung zurück; sehr gern hätte er dabei auch Lebedjew selbst mit fortgeführt. Dieser versprach, ihm bald nachzufolgen; unterdessen war Warja mit den jungen Mädchen in ein lebhaftes Gespräch hineingekommen und blieb infolgedessen. Sie und Ganja waren sehr froh über die Abwesenheit des Generals; Ganja selbst folgte bald Ptizyn nach. Während der kurzen Zeit, die er auf der Veranda in Gegenwart der Jepantschinschen Damen zugebracht hatte, hatte er sich bescheiden und würdig benommen und unter Lisaweta Prokofjewnas strengem Blick, die ihn zweimal von Kopf bis zu den Füßen musterte, die Fassung nicht verloren. Wer ihn früher gekannt hatte, mußte in der Tat finden, daß er sich sehr verändert habe. Dies machte auf Aglaja einen guten Eindruck.
»War das nicht Gawrila Ardalionowitsch, der eben wegging?« fragte sie auf einmal in ihrer beliebten Art: laut, in scharfem Ton, ohne Rücksicht auf das Gespräch der andern, das sie mit ihrer Frage unterbrach, und ohne sich an irgendeinen einzelnen zu wenden.
»Jawohl«, antwortete der Fürst.
»Ich hatte ihn kaum erkannt. Er hat sich sehr verändert, und ... sehr zu seinem Vorteil.«
»Das ist mir sehr lieb zu hören«, erwiderte der Fürst.
»Er war sehr krank«, fügte Warja, zugleich erfreut und bedauernd, hinzu.
»Inwiefern soll er sich denn zu seinem Vorteil verändert haben?« fragte Lisaweta Prokofjewna ärgerlich und beinah erschrocken. »Wie kommst du darauf? Ich bemerke an ihm nichts, was besser geworden wäre. Was scheint dir denn eigentlich besser?«
»Etwas Besseres als den ›armen Ritter‹ kann es überhaupt nicht geben!« rief plötzlich Kolja, der die ganze Zeit über neben Lisaweta Prokofjewnas Stuhl gestanden hatte.
»Das ist auch meine Meinung«, sagte Fürst Schtsch. lachend.
»Ich bin ganz derselben Ansicht«, erklärte Adelaida ernst.
»Was ist denn das für ein ›armer Ritter‹?« fragte die Generalin, indem sie alle Redenden verständnislos und ärgerlich anblickte. Aber als sie sah, daß Aglaja rot geworden war, fügte sie zornig hinzu: »Gewiß wieder irgendein Unsinn! Was ist das für ein ›armer Ritter‹?«
»Als ob es das erstemal wäre, daß dieser freche Junge, Ihr Liebling, anderer Leute Worte verdreht!« antwortete Aglaja hochmütig und unwillig.
Fast jedesmal, wenn Aglaja zornig wurde (und das geschah ziemlich oft), blickte aus ihrer anscheinend ernsten, unerbittlichen Miene doch so viel von dem schlecht verhehlten, ungeduldigen Wesen eines Schulkindes hervor, daß es manchmal unmöglich war, bei ihrem Anblick das Lachen zu unterdrücken, worüber sich Aglaja übrigens gewaltig ärgerte, da sie nicht begriff, worüber die Leute lachten, und »wie jemand da überhaupt lachen könne und zu lachen wage«. Auch jetzt lachten die Schwestern
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