Der Idiot
Reihe ungeduldiger Fragen, freiwilliger Mitteilungen und freundschaftlicher Herzensergießungen erwartet haben sollte, so hatte er sich sehr geirrt. Während der ganzen zwanzig Minuten, die sein Besuch dauerte, war der Fürst in seine Gedanken versunken und unaufmerksam, und es fiel ihm gar nicht ein, die vielen Fragen oder, richtiger gesagt, die eine wichtige Frage zu stellen, auf die Ganja wartete. Da entschied sich auch Ganja dafür, mit größter Zurückhaltung zu sprechen. Er erzählte die ganzen zwanzig Minuten lang, ohne eine Pause eintreten zu lassen, dieses und jenes, lachte, führte eine leichte, nette, muntere Konversation, berührte aber den Hauptpunkt nicht.
Ganja erzählte unter anderm, Nastasja Filippowna sei erst seit vier Tagen hier in Pawlowsk, ziehe aber bereits die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Sie wohne in der Matroskaja-Straße in einem kleinen, plumpen Häuschen bei Darja Alexejewna, habe aber beinah die feinste Equipage in ganz Pawlowsk. Es habe sich bereits eine ganze Schar alter und junger Verehrer um sie gesammelt; ihre Equipage werde manchmal von Reitern begleitet. Nastasja Filippowna sei, wie in früheren Zeiten, sehr wählerisch und vergönne nur einer Auslese den Zutritt. Dennoch aber habe sich um sie eine ordentliche Truppe gebildet, auf deren Schutz sie sich im Notfall verlassen könne. Ein Verlobter aus der Zahl der Sommerfrischler sei bereits um ihretwillen mit seiner Braut zerfallen; ein alter General habe seinen Sohn beinah verflucht. Sie nehme auf ihren Spazierfahrten oft ein reizendes, eben erst sechzehnjähriges Mädchen mit, eine entfernte Verwandte Darja Alexejewnas; dieses Mädchen singe wunderschön, so daß abends das betreffende Häuschen die Aufmerksamkeit auf sich ziehe. Nastasja Filippowna benehme sich übrigens höchst anständig; sie kleide sich nicht luxuriös, aber außerordentlich geschmackvoll, und alle Damen seien wegen ihres Geschmacks, ihrer Schönheit und ihrer Equipage auf sie neidisch.
Hier aber ließ sich Ganja etwas mehr entschlüpfen, als er dem Fürsten eigentlich hatte mitteilen wollen. »Ihr gestriges auffälliges Benehmen«, sagte er, »war natürlich vorher überlegt und darf selbstverständlich nicht mitgerechnet werden. Um ihr etwas am Zeug zu flicken, müßte man sie schon absichtlich belauern oder verleumden, was übrigens nicht lange ausbleiben wird«, schloß Ganja und erwartete nun, daß der Fürst jetzt unbedingt fragen werde, warum er ihr gestriges Verhalten ein vorher überlegtes nenne; und warum die Verleumdung nicht lange ausbleiben werde.
Aber der Fürst stellte diese Fragen nicht.
Über Jewgeni Pawlowitsch ließ sich Ganja von selbst, ohne danach gefragt zu sein, ausführlich aus, was sehr sonderbar war, da er ohne jeden äußeren Anlaß das Gespräch auf ihn brachte. Nach Gawrila Ardalionowitschs Ansicht hatte Jewgeni Pawlowitsch Nastasja Filippowna früher nicht gekannt; er kenne sie auch jetzt kaum und nur daher, daß er ihr vor vier Tagen durch irgend jemand auf dem Spaziergang vorgestellt worden sei; er sei aber schwerlich auch nur ein einziges Mal bei ihr im Haus gewesen, wie andere. Was die Wechsel anlange, so sei die Sache allerdings möglich (hierüber glaubte Ganja sogar Zuverlässiges zu wissen); Jewgeni Pawlowitsch besitze freilich ein großes Vermögen; aber manches auf seinem Gut sei tatsächlich in Unordnung. Bei diesem interessanten Punkt brach Ganja plötzlich ab. Über Nastasja Filippownas auffälliges Benehmen vom vorhergehenden Tag sagte er kein Wort außer der flüchtigen Bemerkung, die ihm vorher entschlüpft war. Endlich kam Warwara Ardalionowna, um Ganja abzuholen; sie blieb einen Augenblick da, teilte (ebenfalls ungefragt) mit, daß Jewgeni Pawlowitsch sich heute und vielleicht auch morgen in Petersburg aufhalten werde, daß ihr Mann, Iwan Petrowitsch Ptizyn, gleichfalls in Petersburg sei, und zwar fast ausschließlich in geschäftlichen Angelegenheiten Jewgeni Pawlowitschs, und daß da wirklich etwas passiert sein müsse. Beim Weggehen fügte sie hinzu, Lisaweta Prokofjewna befinde sich heute in einer gräßlichen Stimmung; aber, was das Seltsamste sei, Aglaja habe sich mit der ganzen Familie überworfen, nicht nur mit dem Vater und der Mutter, sondern sogar mit ihren beiden Schwestern, und das sei ganz und gar nicht schön von ihr. Nachdem sie, anscheinend nur so beiläufig, dem Fürsten diese letzte, für ihn so bedeutsame Mitteilung gemacht hatte, entfernten sich Bruder und Schwester. Der
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