Der Idiot
Fürst kein solcher Schwiegersohn, wie ihr ihn braucht?« Und gerade diese Erwiderungen ihres eigenen Herzens waren es, die der armen Lisaweta Prokofjewna am meisten zu schaffen machten.
Aglajas Schwestern gefiel der Gedanke an den Fürsten nicht übel; ja, dieser Gedanke schien ihnen nicht einmal besonders seltsam; kurz, es war nicht ausgeschlossen, daß sie plötzlich auf die Seite des Fürsten träten. Aber sie entschieden sich beide dafür, zu schweigen. Man hatte in der Familie ein für allemal die Beobachtung gemacht: je eigensinniger und hartnäckiger in einer die ganze Familie betreffenden Streitfrage Lisaweta Prokofjewnas Widerspruch und Widerstand war, um so mehr konnte dies allen als ein Anzeichen dafür dienen, daß sie vielleicht schon mit ihnen in dieser Streitfrage einverstanden war. Übrigens konnte Alexandra Iwanowna sich nicht völlig schweigsam verhalten. Die Mama, von der sie schon seit langer Zeit als Ratgeberin anerkannt war, rief sie jetzt alle Augenblicke zu sich und verlangte ihre Meinung zu hören; namentlich aber mußte Alexandra ihr mit ihrem Gedächtnis aushelfen. Die Mutter fragte zum Beispiel: wie das alles gekommen sei? Warum das niemand gesehen habe? Warum sie damals nicht geredet hätten? Was damals dieser widerwärtige »arme Ritter« zu bedeuten gehabt habe? Warum sie, Lisaweta Prokofjewna, allein dazu verurteilt sei, für alle zu sorgen, auf alles aufzupassen und alles vorauszusehen, während alle übrigen nur Maulaffen feil hielten? usw. usw. Alexandra Iwanowna verfuhr anfangs vorsichtig und bemerkte nur, sie halte Papas Ansicht für ganz richtig, daß in den Augen der Welt die Wahl des Fürsten Myschkin zum Gemahl einer der Jepantschinschen Töchter möglicherweise als eine sehr vernünftige Handlung erscheinen werde. Allmählich redete sie sich in Eifer und fügte hinzu, der Fürst sei überhaupt kein Dummkopf und sei nie ein solcher gewesen, und was die Stellung in der Gesellschaft anlange, so könne noch kein Mensch wissen, was man nach einigen Jahren bei uns in Rußland für die gesellschaftliche Stellung eines anständigen Menschen als notwendig erachten werde, ob die Bekleidung eines höheren Amtes, die bisher für obligatorisch gegolten habe, oder irgend etwas anderes. Zur Antwort auf all diese Bemerkungen begann die Mama sofort zu schelten, Alexandra sei ein Freigeist, und all das komme von der verdammten Frauenfrage her. Eine halbe Stunde darauf begab sie sich in die Stadt und von dort nach der Kamenny-Insel, um die alte Bjelokonskaja zu besuchen, die zufällig gerade in dieser Zeit nach Petersburg gekommen war, aber bald wieder abreisen wollte. Sie war Aglajas Patin.
Die alte Bjelokonskaja hörte Lisaweta Prokofjewnas fieberhafte, verzweifelte Bekenntnisse sämtlich an, ohne sich durch die Tränen der fassungslosen Familienmutter im geringsten rühren zu lassen; ja, sie blickte diese sogar recht spöttisch an. Sie war eine schreckliche Despotin; sie konnte sich nicht dazu verstehen, ihre Freundinnen, mochte auch die Freundschaft noch so alt sein, als ihr gleichstehende Personen zu behandeln, und auf Lisaweta Prokofjewna blickte sie, gerade wie vor dreißig Jahren, immer noch wie auf ihre protégée herab und konnte sich in die Schroffheit und Selbständigkeit des Charakters derselben nicht finden. Sie bemerkte ihr unter anderem, sie schienen da alle nach ihrer ständigen Gewohnheit zu entgegenkommend gewesen zu sein und aus einer Mücke einen Elefanten gemacht zu haben; sie habe sich trotz genauesten Zuhörens nicht davon überzeugen können, daß bei ihnen tatsächlich etwas Ernsthaftes vorgegangen sei; ob es nicht das beste sei, noch ein Weilchen zu warten, bis sich etwas begebe; der Fürst sei nach ihrer Meinung ein anständiger junger Mann, wiewohl er krank, sonderbar und recht unbedeutend sei. Als das Schlimmste müsse betrachtet werden, daß er sich ganz offen eine Geliebte halte. Lisaweta Prokofjewna merkte sehr wohl, daß die alte Bjelokonskaja auf sie ein bißchen ärgerlich war, weil der von ihr warm empfohlene Jewgeni Pawlowitsch bei der Familie nicht reüssiert hatte. Ihre Stimmung war bei der Rückkehr nach Pawlowsk noch gereizter als vor dieser Fahrt, und alle bekamen sofort gehörig etwas ab, namentlich weil sie ganz verrückt geworden seien. In keiner Familie gehe es so zu wie bei ihnen. »Warum habt ihr es denn so eilig gehabt? Was ist denn vorgegangen? Trotz aller Umschau, die ich halte, kann ich nicht finden, daß wirklich etwas vorgegangen wäre!
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