Der Idiot
ihr beide, du und Nina, zu meinem Grab ... ›Arme Nina!‹ so habe ich sie früher genannt, Kolja, es ist schon lange her, noch in der ersten Zeit, und sie hörte das so gern ...! Nina, Nina! Was habe ich dir für ein Schicksal bereitet! Wofür kannst du mich noch lieben, du geduldiges Herz? Deine Mutter hat das Herz eines Engels, Kolja; hörst du wohl? Das Herz eines Engels!«
»Das weiß ich, Papa. Papa, liebster Papa, lassen Sie uns nach Hause zurückkehren, zu Mama! Sie ist uns ja nachgelaufen! Na, was stehen Sie denn so da? Als ob Sie es nicht begriffen ... Na, warum weinen Sie denn?«
Kolja weinte selbst und küßte seinem Vater die Hände.
»Du küßt mir die Hände, mir?«
»Nun ja, gewiß, gewiß. Was ist daran wunderbar? Na, warum heulen Sie denn mitten auf der Straße? Und dabei nennen Sie sich einen General und wollen ein Soldat sein; na, nun kommen Sie!«
»Gott segne dich, lieber Junge, dafür, daß du dich gegen deinen mit Schande bedeckten Vater respektvoll benommen hast ... ja, gegen einen mit Schande bedeckten alten Mann, deinen Vater ... Mögest du einmal einen ebensolchen Sohn haben ... le roi de Rome ... Oh, mein Fluch komme über dieses Haus!«
»Aber was soll denn dieses Wesen hier eigentlich vorstellen?« brauste Kolja auf einmal auf. »Was ist denn passiert? Warum wollen Sie jetzt nicht nach Hause zurückkehren? Wovon sind Sie denn so verrückt geworden?«
»Ich werde es dir erklären, werde es dir erklären ... ich werde dir alles sagen. Schrei nicht so; die Leute hören es ... le roi de Rome ... Ach, mir ist so übel, und ich bin so traurig!
›Wo ist dein Grab, du alte Kinderfrau?‹
Wer hat so gerufen, Kolja?«
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht, wer so gerufen hat! Kommen Sie gleich nach Hause, gleich! Ich werde Ganja durchprügeln, wenn es nötig ist ... Aber wo wollen Sie denn wieder hin?«
Der General schleppte ihn nach der Freitreppe eines nahen Hauses.
»Wo wollen Sie hin? Das ist ein fremdes Haus!«
Der General setzte sich auf die Stufen und zog Kolja immer an der Hand zu sich heran.
»Bücke dich herab, bücke dich herab!« murmelte er. »Ich will dir alles sagen ... die Schande ... bücke dich herab ... mit dem Ohr, mit dem Ohr; ich will es dir ins Ohr sagen ...«
»Aber was ist Ihnen denn?« rief Kolja ganz erschrocken, hielt aber doch sein Ohr hin.
»Le roi de Rome ...«, flüsterte der General, der ebenfalls am ganzen Leib zitterte.
»Was ...? Was haben Sie nur mit Ihrem roi de Rome ...?«
»Ich ... ich ...«, flüsterte der General wieder, indem er sich immer fester an die Schulter seines Sohnes klammerte, »ich ... will ... ich will dir ... alles ... Marja, Marja ... Petrowna Su-su-su ...«
Kolja riß sich los, faßte selbst den General bei den Schultern und blickte ihn wie ein Irrsinniger an. Der Alte wurde dunkelrot; seine Lippen färbten sich bläulich; leichte, krampfhafte Zuckungen liefen über sein Gesicht. Auf einmal bog er sich zusammen und begann sachte in Koljas Arme zu sinken.
»Ein Schlaganfall!« rief dieser über die ganze Straße hin, da er endlich gemerkt hatte, um was es sich handelte.
V
In Wahrheit hatte Warwara Ardalionowna in dem Gespräch mit ihrem Bruder die Zuverlässigkeit ihrer Nachrichten über die Verlobung des Fürsten mit Aglaja Jepantschina ein wenig übertrieben. Vielleicht sah sie als scharfsichtige Frau das, was in naher Zukunft geschehen mußte, vorher; vielleicht hatte sie sich darüber geärgert, daß der schöne Zukunftstraum, an den übrigens sie selbst in Wirklichkeit nicht geglaubt hatte, wie ein Rauch zerflattert war, und mochte sich nun, was ja nur menschlich ist, das Vergnügen nicht versagen, durch Übertreibung des Mißgeschicks noch mehr Gift in das Herz ihres Bruders zu gießen, den sie übrigens aufrichtig liebte und bemitleidete. Aber jedenfalls hatte sie unmöglich von ihren Freundinnen, den Fräulein Jepantschin, so bestimmte Nachrichten erhalten können; es lagen nur Andeutungen, unvollendete Sätze, bedeutsames Stillschweigen und rätselhafte Redewendungen vor. Vielleicht hatten aber Aglajas Schwestern auch absichtlich ein Wörtchen zuviel gesagt, um selbst etwas von Warwara Ardalionowna in Erfahrung zu bringen; möglich war schließlich auch, daß auch sie sich nicht hatten das echt weibliche Vergnügen versagen wollen, ihre Freundin, und wenn es auch eine Freundin aus der Kinderzeit war, ein klein wenig zu foppen; denn in so langer Zeit hatten sie doch notwendigerweise wenigstens ein
Weitere Kostenlose Bücher