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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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und... gemeinsam.«
X
    Endlich verstand der Fürst, warum ihn jedesmal ein kalter Schauer überlief, wenn er diese drei Briefe anrührte und warum er deren Lektüre bis zum Abend verschob. Als er noch am Vormittag, ohne daß er sich hätte entschließen können, aus einem dieser drei Kuverts einen Brief herauszunehmen, auf seiner Chaiselongue in einen schweren Schlaf gesunken war, da hatte er wieder einen beängstigenden Traum, und es kam wieder dieselbe »Verbrecherin« zu ihm. Sie sah ihn wieder mit Augen an, an deren langen Wimpern Tränen funkelten, und rief ihn wieder zu sich, und als er erwachte, erinnerte er sich wieder wie bei jenem früheren Traum an ihr Gesicht. Er wollte schon sofort zu ihr gehen, aber er vermochte es nicht; endlich, fast in Verzweiflung, entfaltete er die Briefe und begann, sie zu lesen. Diese Briefe hatten ebenfalls Ähnlichkeit mit einem Traum. Manchmal träumen wir seltsame Dinge, unmögliche, unnatürliche Dinge, und wenn wir aufgewacht sind, erinnern wir uns deutlich an das Geträumte und wundern uns über diese merkwürdige Tatsache. Wir erinnern uns vor allem daran, daß der Verstand während der ganzen langen, langen Dauer des Traumes seine Tätigkeit nicht eingestellt hat, als uns die Mörder umringten, als sie uns zu überlisten suchten, ihre Absicht verbargen, sich gegen uns freundschaftlich benahmen, während sie doch schon die Waffen bereithielten und nur auf ein Zeichen warteten; wir erinnern uns, wie listig wir sie endlich täuschten und uns vor ihnen versteckten, wie wir aber dann merkten, daß sie diese ganze Täuschung durchschauten und sich nur stellten, als ob sie nicht wüßten, wo wir uns versteckt hielten, wie wir sie aber von neuem listig betrogen; an all das erinnern wir uns deutlich. Aber warum konnte denn unser Verstand sich gleichzeitig mit all den augenscheinlichen Absurditäten und Unmöglichkeiten abfinden, mit denen neben andern Dingen der Traum angefüllt war? Einer der Mörder verwandelte sich vor unseren Augen in eine Frau und aus der Frau in einen kleinen, listigen, häßlichen Zwerg, und wir nahmen all dies ohne weiteres als vollendete Tatsache hin, fast ohne die geringste Verwunderung, und zwar gerade zu der gleichen Zeit, als auf der andern Seite unser Verstand auf das angestrengteste arbeitete und eine außerordentliche Stärke, Schlauheit, Fassungskraft und Logik bewies. Und ferner, warum fühlen wir, wenn wir aus einem Traum erwachen und schon wieder ganz in die Wirklichkeit zurückkehren, fast jedesmal und manchmal mit außerordentlicher Stärke, daß wir zugleich mit dem Traum etwas hinter uns lassen, was uns rätselhaft ist? Wir lächeln über die Absurdität unseres Traums und fühlen gleichzeitig, daß in dem Geflecht dieser Absurditäten ein Gedanke enthalten ist, aber ein wirklicher Gedanke, etwas, was zu unserem wirklichen Leben gehört, etwas, was in unserem Herzen existiert und immer darin existiert hat; unser Traum hat uns gewissermaßen etwas Neues, Prophetisches, von uns Erwartetes gesagt; der empfangene Eindruck ist stark, ein freudiger oder ein quälender Eindruck, je nachdem, aber worin er besteht und was uns eigentlich gesagt worden ist, das können wir nicht begreifen, und daran können wir uns nicht erinnern.
    Fast dasselbe geschah nach der Lektüre dieser Briefe. Aber noch ehe der Fürst sie entfaltet hatte, hatte er gemerkt, daß schon die bloße Tatsache ihrer Existenz, die Möglichkeit ihrer Existenz auf ihn eine ähnliche Wirkung ausübte wie ein bedrückender Traum. Wie hatte sie sich dazu entschließen können, an sie zu schreiben? fragte er sich immer wieder, als er am Abend allein umherirrte (er wußte mitunter selbst nicht, wo er ging). Wie hatte sie das schreiben können, und wie hatte ein so sinnloser, phantastischer Gedanke in ihrem Kopf entstehen können? Aber dieser sinnlose Gedanke hatte bereits Gestalt gewonnen, und das verwunderlichste war für ihn, daß er während der Lektüre dieser Briefe beinahe selbst an die Möglichkeit und sogar an die Berechtigung dieses Gedankens glaubte. Ja gewiß, das war ein beängstigender Traum, ein Wahnsinn, aber es lag darin doch auch wahrhaftes Leid, echtes Märtyrertum, wodurch der beängstigende Traum und der Wahnsinn gerechtfertigt wurden. Mehrere Stunden hintereinander erging er sich in wirren Gedanken über das Gelesene, erinnerte sich alle Augenblicke an einzelne Bruchstücke, verweilte bei ihnen und dachte über sie nach. Manchmal hatte er sogar die Vorstellung, als

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