Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Lösegeldes zu arrangieren. In einem geliehenen Koffer trägt er die atemberaubende Summe von zwei Millionen Dollar mit sich herum. Doch der Gedanke, das Geld zu stehlen und seinen jungen Freund im Stich zu lassen, kommt Ripley nicht in den Sinn. Seine Amoral – der Zug, der ihn über seine Mitmenschen hinaushebt und ihn zu dem gemacht hat, der er ist – wirkt wie tiefgefroren. Sie erwacht erst wieder in einem besonders heiklen Augenblick, nämlich als er den Geldkoffer nachts an einem einsamen Ort übergeben soll und es leichtsinnigerweise nicht tut. Warum ermordet er einen der Entführer und riskiert so Franks Leben, zumal ihm der Tod des Entführers gar nichts einbringt?
Jenseits der Annahme, der Instinktmörder habe eben nicht anders gekonnt, gibt es darauf keine Antwort. So wenig wie auf die Frage, warum Ripley sich zutraut, es in unpraktischer Frauenkleidung und auf Stöckelschuhen mit einer Handvoll bewaffneter Entführer aufzunehmen. Es überfordert die Phantasie, sich die Befreiungsszene des fünfzehnten Kapitels in einer Verfilmung vorzustellen. Patricia Highsmith, die in ihrem Leben Dutzende raffinierte Kriminalplots konstruiert hat und die sich viel darauf zugute halten durfte, den Details des Verbrechens größte Aufmerksamkeit zu schenken – diese erfahrene, von ihrem Handwerk besessene Schriftstellerin streift in Der Junge, der Ripley folgte ausgerechnet im Kriminalistischen die Grenzen der Glaubwürdigkeit.
Erst bei genauerem Hinsehen wird klar, daß Patricia Highsmith mit der Romanform dasselbe tut wie Tom Ripley mit seiner Garderobe: Die Autorin benutzt Verkleidung, Gesichtspuder und Camouflage. Unter einem dünnen Fummel von Kriminal- oder Suspense-Roman, der auf die schummrigste Barbeleuchtung angewiesen ist, um echt zu wirken, verbirgt sich eine Geschichte um geteilte Schuld und einsam erlittene Sühne, deren Grundstimmung nur eine einzige Bezeichnung verdient: Verlust. Kein anderer Ripley-Roman läßt den Helden so ernüchtert und schwermütig zurück wie dieser.
Denn zum erstenmal, nachdem sein verbrecherischer Aufstieg geglückt ist, muß Tom Ripley sich eingestehen, gescheitert zu sein. Failure, Scheitern, ist das Angstwort, das die kapitulierenden Highsmith-Helden heimsucht, bevor sie den Handschellen entgegengehen oder sich resigniert in den Abgrund stürzen. Natürlich ist Ripley nicht selbst gescheitert. Er hat lediglich bei dem Versuch versagt, »ein junges Leben zu lenken«, und kann dessen Selbstauslöschung am Ende nicht verhindern. Wenig ist das allerdings nicht. Innerhalb der Ripley-Reihe macht sich jaimmer stärker bemerkbar, daß freundschaftliche Männerbünde der geheime Nährstoff von Ripleys Existenz sind. Es ist hier, wo er im vierten Band wirklich etwas zu gewinnen hat, wo er sein Leben und seine Reputation aufs Spiel setzt – und fast alles verliert. »Du hast den Jungen sehr gemocht, nicht wahr? Ich weiß es«, sagt Héloïse zu ihm zwei Seiten vor Schluß. Zum erstenmal erkennt die Ehefrau an (und sie tut es im diskreten Ton der Wissenden, die machtlos ist), daß Tom Ripleys Gefühle seinen Freunden gehören.
Das schließt Dickie Greenleaf ein, um den Tom im Talentierten Mr. Ripley (1955) zunächst wirbt und den er dann eigenhändig mit einem Ruder erschlägt, um sich seiner Kleider und seiner Identität zu bemächtigen. Es setzt sich fort mit dem Bilderfälscher Bernard Tufts aus Ripley Under Ground (1970), der aus Verzweiflung Selbstmord begeht. Bei Jonathan Trevanny in Ripley’s Game (1974) überwiegt erstmals Toms fürsorgliche Seite; der Freund wird von der Kugel eines Mafiakillers niedergestreckt, die andernfalls wohl Tom getroffen hätte. Und in Der Junge, der Ripley folgte (1980) gibt es nicht einmal mehr ein Verbrechen, in das der charmante Verführer einen Arglosen hineinziehen könnte; vielmehr wird er selbst zum Mitwisser fremder Schuld gemacht, eine bemerkenswerte Abkehr von dem Prinzip der früheren Romane. Ripley avanciert damit zum Freund, Mentor und Beichtvater in einer Person. Das ganze Wertesystem der Ripley-Welt erscheint in neuem Licht.
Welche Idee Patricia Highsmith mit der Entwicklung ihres Helden verfolgte, hat sie weder notiert noch öffentlich gemacht, ein Umstand, der angesichts ihrer Kompositionsmethode keineswegs überrascht. Ihre Aufzeichnungen in den Notizbüchern dienen fast immer der Handlung und den Figuren, nicht aber deren Deutung. Weil Abstraktionen der Autorin verhaßt waren, findet sich in ihren Notaten kaum jemals ein Wort
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