Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
man möchte ergänzen: wie bei einem Mädchen. (Kurz zuvor hat Frank seinem Meister einen Morgenmantel aus dunkelroter Seide geschenkt, auch das ja eine Gabe, die unter Liebenden eher am Platz wäre, zumal noch gesagt wird, wie tadellos der Morgenmantel sitzen wird, wenn Tom darunter nicht mehr Hose und Pullover, sondern einen Schlafanzug trägt.)
Patricia Highsmith will ferner, daß der keusche Ripley sich in der Berliner Transvestitenszene bewegt, als Teil von ihr und zugleich außerhalb, und daß er in langem Kleid und high heels ein Berliner Mietshaus stürmt. So konstruiert die Autorin einen Bund unter Männern und Freunden, der all dies ermöglicht. Es ist der größte, exotischste Bund ihrer bisherigen Romane, was nicht gerade wenig heißt. Unablässig zieht er Kreise und holt selbst Figuren an der Peripherie in die Handlung hinein, vergleichbar dem überraschenden Gemeinschaftserlebnis auf einer Party, die aus Fremden innerhalb eines Abends Freunde macht. Daß dieser Roman in Berlin spielt, der seinerzeit noch belagerten Stadt, dem Fluchtpunkt von Künstlern und gesellschaftlichen Randfiguren, erscheint plötzlich als zwingende Entscheidung. Die Maskeraden des Karnevals und die sexuellen Ambiguitäten der drag party erlauben es, Identitäten auszustellen, ohne sie enthüllen oder als dauerhaft beglaubigen zu müssen. Erinnern wir uns: Schon der erste Ripley-Roman machte sich in seinem Venedig-Teil den metaphorischen Mehrwert von Verkleidungen zunutze.
Eines der schönsten Bilder, gewissermaßen im Herzen des Romans, ist der schlafende, noch drogenvernebelte Frank, dem fünf oder sechs Männer, die mehrheitlich einem homoerotischen Schattenmilieu angehören, zur Freiheit verholfen haben, von Ripley über Reeves bis zu Lanz, Peter Schubler, Max und Rollo. Das Bild hat den Charme der drei Geier im Dschungelbuch, die sich um den unschuldigen Mowgli kümmern. Der Junge weiß nicht, was seine Retter schon alles gesehen haben, und er wird es nie erfahren. Unablässig spielt der Roman mit Franks Ahnungslosigkeit und inszeniert, gleichsam über seinen Kopf hinweg, beziehungsreiche Witze für Eingeweihte, selbst in einer frühen Szene mit Ripleys Bekanntem Antoine Grais, der nach seiner nächtlichen Ankunft in Belle Ombre fragt: »Sie haben Besuch? Pardon, wenn ich störe […] Mann oder Frau?« Die neugierige Frage hat symbolisches Gewicht. Der Roman verwischt die Grenzlinien sexueller Identität ja nicht nur durch Schauplätze wie Berliner Männerbars. Selbst vor einem Derwatt-Gemälde in Reeves’ Hamburger Wohnung rätselt Frank: »Mann oder Frau?«
Patricia Highsmith dürfte an dem seltsamen Kontrast Gefallen gefunden haben, den ihr Roman unter der Hand herstellt: Einerseits wird Franks idealisierte Liebe, die untreue Teresa, auf ähnliche Weise in den Schrein konventioneller Paarbeziehungen gestellt, wie es auch anderen fernen Geliebten bei Highsmith widerfährt. Mit Worten unablässig beschworen, bleibt die Alibi-Frau des Romans substantiell ungreifbar und nebulös. Andererseits besteht die handfeste Wirklichkeit des jungen Amerikaners in Europa aus tatsächlicher Lebensgefahr, aus der ihn nur die solidarische Aktion einer buntscheckigen Männerbande befreit, die in ihrer Mitte keine Frauen duldet.
Keine Silbe davon steht im Notizbuch. Was aber dann? Blättert man in den Aufzeichnungen aus der Frühphase, stößt man vor allem auf Pläne, die nicht realisiert wurden. Etwa den, Frank werde mit Tom Ripley zeitweise brechen. Oder die Idee, Frank verhalte sich seinen Entführern gegenüber arrogant, weil er ihre finanziellen Motive hinter der Entführung verachte (beides am 14. Oktober 1976). »Der Roman sollte davon handeln«, heißt es am 5. September 1976 in programmatischem Ton, »wie F. [Frank] mit Verbrechen, Mord, Reichtum, Wirklichkeit, Wahrheit umgeht – mit der Tatsache, daß er sich an irgendeinem Punkt mit Geld beschäftigen muß.« Mag sein, daß diese Motive im Hintergrund des Romans auf halber Höhe umherschweben; hier und da tauchen sie sogar in den Dialogen zwischen Tom und Frank auf. Doch obwohl die genannten Motive zusammen völlig ausreichend wären, das Gemüt eines Sechzehnjährigen niederzudrücken, wirken sie eher behauptet als zum Leben erweckt. Eine eigentümliche Unwirklichkeit umgibt sie, als wären sie eine Tarnung für etwas anderes.
Denn Der Junge, der Ripley folgte ist seinerseits, und zwar auf allen Ebenen, ein Roman über verschleiertes Wissen und angenommene Masken. Ripley,
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