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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Paare von Liebenden in ihren Schatten schmiegen – sie unterwarfen sich nicht diesen Täuschungen. Ihre nackten Zweige sprachen wie am ersten Tage von dem Bestehen eines wahreren Lebens. Sie sehnten sich. In ihremSplintholz sang steigender Saft im Frühling von den Wiesenschaum überwogten Weiden, über die schwarzbuntes Vieh wandelnd des Mittags in ihren Schatten dringen würde.
    Halb hingegeben, brüderlich streichelten Kais Finger die glatte Schale tröstlichen Seins, das eine Bejahung seiner Sehnsucht war. Aber sie zuckten beschämt zurück. Wieder einmal überfiel ihn die tödliche Angst, seine Gefühle zu verfälschen, unwahr zu machen, dadurch, dass er ihnen nach außen Geltung verschaffte. Die streichelnde Hand – sie war nur ein verlogenes, widerliches Zerrbild dessen, was er wahrhaft gefühlt. Dass er diesem Impuls zu rasch gefolgt war, das hatte sein wahres Gefühl verzerrt. Nein, nicht nach außen durften die Gedanken treiben. In ihm, tief drin mussten sie wachsen wie Blumen. Man durfte das keimende Samenkorn nicht beachten. Wolken mussten darüber hinwandern, Sonne scheinen, eines Tages aufblühend war es vielleicht stark genug, das Äußere zu ertragen.
    »Du, Kai«, sagte Arne.
    »Ja, du?«
    »Was meintest du eigentlich mit Jungfräulichkeit?«
    »Wieso?«
    »Ich erinnere mich, du hattest in der Einleitung zu deinem Aufsatz irgendetwas von ›jungfräulichem Berg‹ oder so geschrieben. Was meintest du damit?«
    »Ach so«, sagte Kai und schwieg einen Augenblick. Ganz recht, das konnte stimmen. Er hatte die Einleitung irgendwo abgeschrieben. Komisch, dass Arne noch daran dachte. »Weißt du, ich habe mir eigentlich nichts Besonderes dabei gedacht.«
    »Na, irgendetwas musst du doch damit meinen. Jungfräulicher Berg!«
    »Ja, was denn? Jungfräulichkeit, was soll das sein? Reinheit, Unberührtheit oder so.«
    »Das ist doch eine tolle Schweinerei!«, sagte Arne.
    Kai fragte verständnislos: »Wieso?«, dann schwiegen sie wieder.
    Ihr Weg hatte sie in helle und belebte Straßenzüge geführt. Trotz des schlechten Wetters waren viele Leute draußen. Ihre Gesichter schienen seltsam aufgedunsen, Leichen gleich, die im Wasser gelegen hatten, und alle mit einem, nur einem einzigen Ausdruck, den sie mit einer verbissenen Störrigkeit festhielten. Aber auch zwischen ihnen meinte Kai brüderlich Verwandte, nahe Freunde zu entdecken, die wie er verzweifelt und rastlos »suchten«. Was? – Das Leben, eben jenes Leben, wie es sich ihre Verzweiflung wärmer, Haut an Haut träumte. Ihre Augen, müde von vielem Umherschauen, gereizt von zahllosen, ungeweinten Tränen, erleuchtete immer von neuem ein anderer Ausblick ihrer alten Hoffnung. Ihre Lippen schienen Gebete zu murmeln zu einem Herrn, der sie nicht erhören würde. Die Bewegungen ihrer stets mageren Hände waren zwecklos und seltsam wie phantastische Blüten, die man im Traum sieht. Aber Kai merkte es wohl: jene Weiber mit den dunklen Schatten unter den Augen, die eine wehmütige Rücknahme der Versprechen waren, die Haut und Lippen gaben, sie hatten keinen Blick für diese Suchenden. Vielleicht sehnten auch sie sich. Es musste süß sein, so verachtet zu werden wie sie und sich dann sehnen zu dürfen. Wäre er eine von ihnen, er würde die Blicke der Einsamen im Netz seiner Hingebung zu fangen wissen. Ja: dieses Eine: verachtet sein und verworfen, konnte einen vielleicht dazu bringen, ganz heiß zu lieben und geliebt zu werden.
    Kai fuhr auf. Arne hatte gegrüßt, mit einer übertriebenen Grandezza und einem Lächeln, das dieser Übertreibung Recht verleihen sollte. Zu spät natürlich griff Kai an seine bunte Pennälermütze. Im grellen Schein der elektrischenLampen sah er noch ein weißes, reinliniges Profil mit tief gesenkten Wimpern, einen blassen Mund und über alldem ein wenig Schwermut ausgebreitet, wie es schien.
    »Wer war denn das?«
    »Ilse Lorenz«, flüsterte Arne aufgeregt.
    Kai drehte sich um. Zwischen dem Gewühl sah er für einen Augenblick die eher kleine Figur des Mädchens, die breiten Hüften und den ruhigen, stillen Gang der sich Entfernenden. Ein Lächeln stieg in ihm hoch. Und während Arne auf ihn einsprach, dachte er: Das also ist sie! Wie abgeschlossen! Wie fern! Wie fremd!

4
    Auf seinem Zimmer angelangt, sagte Arne: »Setz dich, ich zieh mich schnell um. Dort stehen Zigaretten.« Und während er die Jacke abwarf, fragte er: »Wie gefiel dir Fräulein Lorenz?«
    »Gott, gefallen, Arne! Ich habe ihren Rücken gesehen!«
    »Du

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