Der kalte Kuss des Todes
komm ja nicht auf die Idee, irgendwelche Tricks zu probieren. Vergiss nicht, ich bin ein Psycho.«
»Stepan, ich . . . kann nicht. . . bring mich lieber um . . .« In Dmitris Stimme mischten sich auf eigenartige Weise Flehen und Wut. »Ich kann nicht. . . bring mich lieber um!«
Sie ähnelten zwei Giftschlangen, die sich im Kampf auf Leben und Tod wanden. Es war schrecklich, ihre verzerrten Gesichter zu sehen, die sich so sehr glichen, als reflektierte ein Doppelspiegel ein einziges Gesicht.
»Sei still! He, Kolossow, oder wie du heißt. . . komm her. Um die Ecke steht ein Wagen. Du setzt dich ans Steuer und fährst, wohin dir gesagt wird.« Stepan wich langsam zum Gebüsch zurück und zerrte seinen Zwillingsbruder wie einen Schild hinter sich her. »Eine falsche Bewegung, und ihr habt eine Leiche mehr.«
Sekunden, Minuten . . . Die Zeit schien auf diesem stillen Waldweg unter der sengenden Sonne gleichsam anzuhalten. Die Männer verschwanden aus dem Blickfeld. Dann hörte man das Geräusch eines davonfahrenden Autos.
»Hinterher!« Kassjanow erwachte aus seiner Erstarrung. »Aber auf keinen Fall schießen! Das ist keine Flucht. Genossen Zeugen – bewahren Sie Ruhe. Natürlich ist das eine Wahnsinnstat, aber ich denke, gleich werden wir. . .«
Katja wusste nicht, wohin mit Kolossows Pistole. Der Kameramann nahm ihr die Waffe ab, kontrollierte sie und steckte sie in die Tasche. Für ihn und Katja war im Milizbus, in den sich die Wachsoldaten setzten, kein Platz mehr. Sie mussten sich gemeinsam mit den Zeugen in den gepanzerten Gefängniswagen zwängen. Sie fuhren lange, aber wie sehr Katja auch nach einer Ritze zum Hindurchspähen suchte, sie konnte nichts sehen. Schließlich hielt der Wagen. Krachend wurden die Türen aufgerissen, und der Fahrer ließ sie heraus. Am Wegrand standen der schwarze Jeep aus Basarows Survival-Camp und der kanariengelbe Milizbus. Beide Wagen waren leer. Links von ihnen waren Wald und eine Schlucht zu sehen, über die eine bucklige kleine Brücke führte; rechts befand sich ein von Unkraut überwuchertes Feld, das von einer Reihe kränklicher Pappeln begrenzt wurde.
Die Gespräche, die zuvor im Jeep geführt worden waren, hatte Katja nicht hören können – zum Glück, so wüst hatten die Männer geflucht. An Dmitris Kehle zeigten sich bereits zwei tiefe Einschnitte; sein Zwillingsbruder verstand es, mit dem Finnmesser umzugehen.
Kolossow sah im Innenspiegel die Gesichter der Brüder und packte das Lenkrad fester. »Wohin jetzt?«, fragte er zum x-ten Mal.
»Wohin sollen wir fahren, Dmitri?«, flüsterte Stepan. »Wohin hast du Lisa gebracht?«
»Warum tust du mir so weh? Du Schlächter. . .« Über Dmitris Gesicht strömte der Schweiß, und sein Pullover war an der Brust voller Blut. »Schlächter. . . Mistvieh . . .«
»Ein Psycho bin ich, Dmitri, ein Irrer. Ich gehöre in die Klapse! Du hast doch für alles gesorgt! Und dein Platz ist auf dem Friedhof. Du selbst hast es dir ausgesucht. . . Und so wäre es für mich und dich auch am besten. Für uns alle. Aber wenn du am Leben bleiben willst, dann zeig mir, wo Lisa ist.«
»Aber sie war dir doch immer scheißegal! Als sie noch gelebt hat, hast du dir die Füße an der Schlampe abgewischt!«
»Mag sein. Schließlich bin ich ja verrückt, und was kann man von einem Verrückten schon erwarten?« Stepans Stimme war schrecklich: Es lag etwas darin, das Kolossow, den so leicht nichts umwerfen konnte, einen kalten Schauder über den Rücken jagte. »Aber wenn du mir jetzt nicht sagst, wo sie ist, mach ich dich kalt.«
Als Katja, die Zeugen und der Kameramann aus ihrem Gefängnis auf Rädern sprangen, war die Stelle schon gefunden. Kassjanow und die rechtzeitig eingetroffenen Wachsoldaten halfen Kolossow.
Es war ein alter, verlassener Atombunker, wie man sie auf den Feldern um Moskau öfter findet: eine kleine, mit Steppengras bewachsene Anhöhe mit einer verrosteten Eisentür darin. An dieser Tür machten sich Kolossow und ein Wachsoldat gerade zu schaffen. An den Eisenringen der alten, rostigen Absperrvorrichtung hing ein auffälliges, neues, in der Sonne funkelndes Schloss. Mit dem Kolben der Maschinenpistole schlugen sie es herunter.
Die Tür öffnete sich leicht – offensichtlich war sie erst vor kurzem geschlossen worden. Aus der steinernen Höhle schlug ihnen Kälte, Feuchtigkeit und unerträglicher Verwesungsgeruch entgegen. Kolossow zerrte ein in Segeltuch verpacktes Bündel über die Schwelle, bückte sich und
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