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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Unendlichkeit jeder Jugend: in die Musik. Aber die Idylle hat vorzeitig ihr Ende. Mit vierzehn Jahren kommt der Empfindsame als Alumnus in die Klosterschule von Denkendorf, dann in das Kloster
    von Maulbronn, als Achtzehnjähriger in das Tübinger Stift, das er erst Ende 1792 verläßt – ein ganzes Jahrzehnt fast wird diese freiselige Natur hinter Mauern gesperrt, in klösterliches Gelaß, in drückende Menschengemeinsamkeit. Der Kontrast ist zu vehement, um nicht schmerzhaft, ja zerstörend zu wirken: aus der Ungezwungenheit freier sinnender Spiele an Ufer und Feld, aus der Weichlichkeit fraulich-mütterlicher Behütung preßt man ihn in dasmönchisch schwarze Kleid, klösterliche Zucht schraubt ihn an einzelne Stunden mechanisch geordneter Tätigkeit. Für Hölderlin werden die Klosterschuljahre, was für Kleist die Kadettenjahre: Zurückdrängung des Gefühls ins Sensitive, Vorbereitung und Überreizung stärkster innerer Spannung, Widerstand gegen die reale Welt. Etwas in seinem Innern wird damals für immer verwundet und geknickt: »Ich will Dir sagen«, schreibt er ein Jahrzehnt später, »ich habe einen Ansatz von meinen Knabenjahren, von meinem damaligen Herzen, der ist mir noch der liebste – das war eine wächserne Weichheit ... aber eben dieser Teil meines Herzens wurde am ärgsten mißhandelt, solange ich im Kloster war.« Wie er das schwere Tor des Stifts hinter sich schließt, ist der edelste, der geheimste Trieb seines Lebensglaubens schon vorzeitig angekränkelt und halb verwelkt, bevor er hinaustritt in die Sonne des freien Tages. Und schon schwebt um seine noch klare Jünglingsstirn – freilich ein dünner floriger Hauch nur – jene leise Melancholie des Verlorenseins in die Welt, die dann immer dunkler und dichter mit den Jahren die Seele umdämmert und schließlich den Blick für jede Freudigkeit verschattet.
    Hier also, so früh schon, im Zwielicht der Kindheit, in den entscheidenden Formungsjahren beginnt jener unheilbare Riß in Hölderlins Innern, jene unbarmherzige Zäsur zwischen der Welt und seiner eigenen Welt. Und dieser Riß narbt niemals mehr zu: ewig bleibt ihm das Gefühl des in die Fremde verstoßenen Kindes, ewig diese Sehnsucht nach einer früh verlorenen seligen Heimat. Unablässig empfindet sich der ewig Unmündige aus den Himmeln – seiner Jugend, erster Ahnung, unbekannter Vorwelt – gewaltsam auf die harte Erde, in eine ihm widerstrebende Sphäre herabgeschleudert; und von jener ersten harten Begegnung mit der Realität an schwärt in seiner verwundeten Seele das Gefühl der Weltfeindschaft. Hölderlin bleibt ein vom Leben Unbelehrbarer, und alles, was er an Scheinfreude und Ernüchterung, an Glück und Enttäuschung gelegentlich gewinnt, vermag die unabänderlich festgelegte abwehrende Haltung gegen die Wirklichkeit nicht mehr zu beeinflussen. »Ach, die Welt hat meinen Geist von früher Jugend an in sich zurückgescheucht«, schreibt er einmal an Neuffer, und tatsächlich kommt er nie mehr mit ihr in eine Bindung und Beziehung, er wird paradigmatisch das, was die Psychologie einen »introverten Typus« nennt, einer jenerCharaktere, die sich mißtrauisch gegen alle äußere Anregung abgesperrt halten und nur von innen heraus, aus den urtümlich eingepflanzten Keimen ihre geistige Gestaltung entwickeln. Die Hälfte seiner Gedichte variiert von nun an nur dasselbe Motiv, den unlösbaren Gegensatz von gläubiger, sorgloser Kindheit und dem feindseligen, illusionslosen, praktischen Leben, der »zeitlichen Existenz« im Gegensatz zum geistigen Sein. Ein Zwanzigjähriger, überschreibt er schon trauernd ein Gedicht »Einst und Jetzt«, und im Hymnus »An die Natur« rauscht dann strophisch gebunden diese, seine ewige Erlebnismelodie herrlich hervor:
    Da ich noch um deinen Schleier spielte,
Noch an dir wie eine Blüte hing,
Noch dein Herz in jedem Laute fühlte,
Der mein zärtlichbebend Herz umfing.
Da ich noch mit Glauben und mit Sehnen
Reich, wie du, vor deinem Bilde stand,
Deine Stelle noch für meine Tränen,
Eine Welt für meine Liebe fand;
    Da zur Sonne noch mein Herz sich wandte,
Als vernähme seine Töne sie,
Und die Sterne seine Brüder nannte
Und den Frühling Gottes Melodie,
Da im Hauche, der den Hain bewegte,
Noch dein Geist, dein Geist der Freude sich
In des Herzens stiller Welle regte,
Da umfingen goldne Tage mich.
    Aber diesem Hymnus auf die Kindheit antwortet schon in düsterem Moll die Lebensfeindschaft des früh Enttäuschten:
    Tot ist nun, die mich erzog

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