Der Kampf mit dem Dämon
und Trunkenheit, die ìáíéá der Griechen, die heilige Raserei, die sonst nur dem Prophetischen, dem Pythischen innewoh nt. Das Maßlose, das Superlativistische ist immer das erste untrügbare Merkzeichen dieser Kunst, das ewige Sich-überbieten-wollen in ein Letztes hinein, in jene Unendlichkeit, der das Dämonische als in seine urweltliche Natur heimatlich entgegendrängt. Hölderlin, Kleist und Nietzsche sind von diesem promethidischen Geschlecht, das feurig die Grenzen des Lebens durchstößt, rebellisch die Formen durchdringt und im Übermaß der Ekstase sich selbst vernichtet: aus ihrem Auge flackert sichtbar der fremde fiebrige Blick des Dämons, und erspricht von ihrer Lippe. Ja, er spricht sogar, da diese Lippe schon stumm und ihr Geist erloschen ist, noch aus ihrem zerstörten Leib: nirgends wird der furchtbare Gast ihres Wesens sinnlich wahrnehmbarer, als da ihre Seele, von übermächtiger Spannung auseinandergequält, zerreißt und man nun wie durch einen Spalt hinabsieht bis in das innerste Geklüft, wo der Dämon haust. Gerade im Untergang ihres Geistes wird die sonst bluthaft verborgene dämonische Macht in allen dreien plötzlich plastisch offenbar.
Um diese geheimnisvolle Wesenheit des vom Dämon übermannten Dichters, um das Dämonische selbst ganz deutlich zu machen, habe ich, getreu meiner Methode des Vergleichs, unsichtbar einen Gegenspieler den drei tragischen Helden entgegengestellt. Aber der wahre Widerpart des dämonisch beflügelten Dichters ist durchaus nicht etwa der undämonische: es gibt keine große Kunst ohne Dämonie, ohne das der Urmusik der Welt entflüsterte Wort. Niemand hat dies gültiger bezeugt als der Erzfeind alles Dämonischen, der auch im Leben Kleisten und Hölderlin hart abwehrend gegenüberstand, als Goethe, da er zu Eckermann über das Dämonische sagt: »Jede Produktivität höchster Art, jedes bedeutende Aperçu ... steht in niemandes Gewalt und ist über aller irdischen Macht erhaben.« Es gibt keine große Kunst ohne das Inspirative, und alles Inspirative strömt wieder aus einem unbewußten Jenseits, einem Wissen über der eigenen Wachheit. Als den wahren Widerpart des exaltativen, des von seinem Überschwang sich selbst entrissenen Dichters, des göttlich Maßlosen, sehe ich den Herrn seines Maßes, den Dichter, der die ihm verliehene dämonische Macht mit dem irdisch ihm verliehenen Willen bändigt und zielhaft macht. Denn das Dämonische, zwar die herrlichste Kraft und Urmutter aller Schöpfung, ist vollkommen richtungslos: es zielt einzig ins Unendliche, in das Chaos zurück, dem es entstammt. Und eine hohe, gewiß nicht geringere Kunst als die der Dämonischen entsteht, wenn ein Künstler diese Urmacht menschlich meistert, wenn er ihr Maß im Irdischen und Richtung nach seinem Willen gibt, wenn er die Poesie im Sinne Goethes »kommandiert« und das »Inkommensurable« in gestalteten Geist verwandelt. Wenn er Herr des Dämons wird und nicht sein Knecht.
Goethe: damit ist nun schon der Name für den polaren Typus ausgesprochen, dessen Gegenwart sinnbildlich diesBuch durchwaltet. Goethe war nicht nur als Naturforscher, als Geologe »Gegner aller Vulkanität« – auch in der Kunst hat er das Evolutive über das Eruptive gestellt und alles Gewaltsam-Krampfhafte, alles Vulkanische, kurz, alles Dämonische mit einer bei ihm seltenen und geradezu erbitterten Entschiedenheit bekämpft. Und durch nichts mehr als durch diese Erbitterung der Abwehr verrät er, daß auch ihm der Kampf mit dem Dämon das entscheidende Existenzproblem seiner Kunst gewesen ist. Denn nur wer dem Dämon inmitten seines Lebens begegnet, wer ihm schauernd ins medusische Auge gesehen, wer ihn erfahren in seiner ganzen Gefahr, nur der kann ihn dermaßen als fürchterlichen Feind empfinden. Irgendwo im Dickicht seiner Jugend muß Goethe dem Gefährlichen einmal Stirn an Stirn zu einer Entscheidung über Leben und Tod gegenübergestanden haben – Werther bezeugt es, in dem er Kleistens und Tassos, in dem er Hölderlins und Nietzsches Schicksal prophetisch von sich fortgestaltet hat! Und von dieser schreckhaften Begegnung her ist Goethe ein ganzes Leben lang eine erbitterte Ehrfurcht, eine unverhohlene Furcht vor der tödlichen Kraft seines großen Gegners geblieben. Mit magischem Blick erkennt er den Blutfeind in jeder Gestalt und Verwandlung: in Beethovens Musik, in Kleistens Penthesilea, in Shakespeares Tragödien (die er schließlich nicht mehr aufzuschlagen vermag: »es würde mich
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